Zwischen Spionage und Schmuggel
18. Dezember 2016Die Scheinwerfer von Linas Taskunas Jeep erhellen die Straße. Sie führt zu einem Kiesweg, hinein in einen dichten Wald. Der Jeep rumpelt mehrere Kilometer über Schlaglöcher, durch alte Kiefern hindurch, bis er plötzlich an einer matschigen Waldlichtung ankommt. Linas Taskunas stellt den Motor aus, das Licht bleibt an und erhellt mehrere bunte Holzpfosten. Sie markieren die Ost-Grenze der Europäischen Union.
"Es gibt Erlebnisse, die werde ich nie vergessen", sagt Taskunas. Er ist seit über 13 Jahren im Einsatz an Litauens Ostgrenze. "Und es gibt Momente, die würde ich gerne vergessen."
Litauens Grenze zu Weißrussland ist porös. Nur 33 Prozent der EU-Außengrenze ist durch ein Überwachungssystem gesichert. Die undichten Stellen ziehen das organisierte Verbrechen sowie ausländische Geheimdienste geradezu an. Manche der kriminellen Gruppen sind so engagiert, dass sie sogar Straßen in manchen ländlichen Gegenden repariert haben sollen, um ihre Waren besser transportieren zu können.
Wahrscheinlich ein Späher
Erst kürzlich hätten die Mitglieder eines lokalen Schmugglerrings auf einen der Außenposten geschossen, erzählen die Grenzbeamten aus der ansonsten eher verschlafenen Kleinstadt Poskonys. Danach hätten die Schmuggler versucht, ihren Jeep in Brand zu setzen.
Die ganze Nacht sind Taskunas und sein Kollege an der ruhigen und matschigen Grenze entlang getrottet, am Boden leichter Schnee, um sie herum nichts als Dunkelheit. Als sie zurück zu ihrem Posten fahren, kommen sie an einem alten Mercedes vorbei. Er steht auf dem Waldweg, die Lichter eingeschaltet. Das sei wahrscheinlich ein Späher, sagt Taskunas, ein Schmuggler, der die Bewegungen der Grenzpolizisten verfolgt.
Schmugglerbanden arbeiten hochprofessionell
"Die Köpfe dieser Organisationen sind Bürger der Russischen Föderation und leben auch dort", sagt der Kommandant der Grenzkontrolle Renatas Pozela. Der Sitz seines Büros ist in Vilnius, knappe 60 Kilometer von Poskonys entfernt. "Diese Kriminellen sind unerreichbar für unsere Behörden."
Die Einnahmen aus den illegalen Geschäftigen gingen meist in den Ausbau weiterer Geschäftsfelder und in die Taschen der Organisatoren, so der Kommandant. Doch ein Teil des Geldes investierten die Schmugglerbanden auch in Equipment, welches ihnen dabei hilft, den Grenzkontrollen effektiver zu entgehen. So sind sie ausgestattet mit Nachtsichtbrillen und Wärmekameras.
Meist werden die üblichen Schmuggelwaren über die Grenze befördert: Seltene Bernsteine, typisch für das Baltische Meer, Drogen, Autos, die in Einzelteile zerlegt werden, Zigaretten und Menschen. In dem südöstlichen Teil Litauens, in dem Linas Taskunas und sein Kollege an der Grenze patrouillieren, fangen sie in den meisten Fällen kartonweise Zigaretten ab.
Für den Distrikt verantwortlich ist General Zydrunas Vaikasas. Er erklärt, dass die Schmuggler meistens drei Mal so viel Personal hätten wie sie von der Grenzpolizei. Auf beiden Seiten der Grenze würden ganze Späher-Teams die Bewegungen der Grenzbeamten genau verfolgen.
10 Milliarden Euro weniger Einnahmen
Nach Angaben des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung verursacht allein der Schmuggel von Tabakwaren den EU-Mitgliedsstaaten hohe Verluste. Grund dafür seien die hinterzogenen Einfuhrzölle und Steuern. Das Amt schätzt, dass durch den illegalen Handel den nationalen Kassen sowie der EU jährlich rund 10 Milliarden Euro an Einnahmen entgehen.
Aber auch Menschen werden illegal über die Grenze gebracht. Im Flüchtlings-Gefängnis von Pabrade weiter im Norden Litauens sitzen diejenigen, die von den Grenzbeamten gefasst wurden. Der Großteil der Insassen hier stammt aus Vietnam. Neben ihnen, in einer anderen Zelle, sind ein paar wenige Russen, tschetschenischer Herkunft, untergebracht. Aleksandras Kislovas, der für das Gefängnis zuständig ist, geht davon aus, dass sie die Schlepper sind.
Kislovas erzählt, dass sie in letzter Zeit immer mehr Vietnamesen festnehmen. Er glaubt, dass die wirtschaftliche Krise in Russland ein Grund dafür ist, dass sie weiter in den Westen gehen. Viele von ihnen haben zuvor illegal in Russland gearbeitet. "Sie fliegen von Hanoi nach Moskau, dann nehmen sie Züge und Busse, um nach Minsk in Weißrussland zu gelangen", sagt Kislovas. Hier würden sie sich dann mit Schleppern treffen. "Meistens werden die Vietnamesen in großen Gruppen von bis zu 20 Personen von Tschetschenen geschmuggelt." Sobald sie in Litauen angekommen seien, reisten diese nach Polen weiter.
Korruption ist ein großes Problem
Während der Kampf gegen die Schmuggler weitergeht und immer wieder Rückschläge erfährt, haben die Grenzbehörden auch interne Kämpfe auszufechten. In den vergangenen 12 Jahren wurden 200 Mitarbeiter der Grenzbehörden wegen Korruption angeklagt, 130 verurteilt. In Litauen gehören Grenzpolizisten zu den am schlechtesten bezahlten Beamten. "Kein Land auf dieser Welt kann genug finanzielle Mittel für seine Beamten aufbringen, um gegen die rivalisierenden Summen der Schmuggler anzukommen", sagt der Kommandant der Grenzkontrolle Renatas Pozela.
Doch es gibt eine noch größere Gefahr an der Grenze: die ausländischen Geheimdienste. Sie bestechen sowohl Grenzbeamte als auch Schmuggler, um diese für sich zu gewinnen. In Estland wurden in den vergangenen zwei Jahren drei Schmuggler verurteilt, da sie mit dem russischen Geheimdienst kooperierten und Informationen über estnische Grenzbeamten sowie das Militär besorgten.
Russischer Inlandsgeheimdienst weitet Aktivitäten aus
Auch in einem litauischen Sicherheitsgutachten vom Juni dieses Jahres wird die Gefahr benannt. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB habe "seine Bemühungen, ein Spionage-Netzwerk in der litauischen Grenzsicherheitsbehörde aufzubauen, ausgeweitet".
Weiter heißt es in dem Gutachten, dass ein Trend absehbar sei, dass der FSB versuche, Schmuggler für sich zu gewinnen. "Der FSB bietet an, diese bei weiteren Schmuggelaktivitäten zu unterstützen, im Austausch zu geheimen Kooperationen." Besonders interessiert sei der FSB an Kontakten innerhalb der litauischen Strafverfolgungsbehörden, heißt es zudem.
Kommandant Renatas Pozela ist sich der Gefahren bewusst. "Wir wissen, dass es Versuche gibt, unsere Offiziere zu rekrutieren. Wir haben auch Informationen dazu, dass der FSB unsere Gebäude, Strukturen und Waffen observiert." Man sei geografisch "in einer unglücklichen Lage", sagt Pozela. "Das bedeutet für uns, dass wir immer wachsam sein müssen - mit offenen Augen und Ohren."