Loch in der ISS: Sabotage oder Schlamperei?
6. September 2018Was auch immer auf Erden geschieht, im Weltall wird zusammengearbeitet: Jenseits aller politischen Spannungen ist die Internationale Raumstation (ISS) das komplexeste Wissenschaftsprojekt in der Geschichte der Menschheit.
Die Sowjetunion hatte zuerst eine Raumstation in der Erdumlaufbahn gebaut, nachdem sie den Wettlauf zum Mond verloren hatte. Aber schon bei der MIR arbeiteten die Russen mit internationalen Weltraumbehörden zusammen. Und an der ISS, diesem Vorposten der Menschheit im Weltall, beteiligen sich inzwischen 16 Nationen. Die Besatzung besteht derzeit aus sechs Astronauten - drei aus den USA, zwei aus Russland und dem Deutschen Alexander Gerst. Er soll bis Dezember auf der Station bleiben und im Oktober als erster Deutscher das Kommando auf der ISS übernehmen.
Kaum vorstellbar also, dass jemand ausgerechnet dieses internationale Prestige-Projekt sabotieren könnte. Aber genau das behauptet ein ehemaliger Kosmonaut und jetziges Duma Mitglied: Maxim Surajew deutete an, ein psychisch gestörter Astronaut könnte das Loch in die ISS gebohrt haben, das vergangene Woche entdeckt wurde, um einen früheren Rückflug zu erzwingen.
Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Besatzungsmitglied "diese seltsame Nummer abgezogen hat", so der ehemalige Kosmonaut. "Wir sind alle Menschen und jeder könnte nach Hause wollen", sagte er der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti.
Notflicken aus Kunstharz
Die Aufnahme des Loches hat die NASA inzwischen wieder aus dem Netz genommen, zu finden ist sie dennoch. Das winzige Loch befand sich in einer angedockten Sojus-Kapsel, mit der Alexander Gerst zusammen mit dem russischen Kosmonauten Sergej Prokopjew und der US-Astronautin Serena Aunon-Chancellor zur ISS geflogen waren. Es hatte am Donnerstag ein Sauerstoffleck und einen Druckabfall in der ISS verursacht.
Die Besatzung war nicht in Gefahr und konnte den Riss flicken – ganz profan mit Epoxy-Kleber getränktem Gewebe. Eine vorläufige Analyse ergab, dass die Kapsel auch für die Rückkehr zur Erde sicher sei. Der Grund: Das Loch befindet sich in einem Teil der Sojuz Kapsel das gar nicht am Wiedereintritt der Rückkehrkapsel in die Erdatmosphäre beteiligt ist. Das fragliche Bauteil verglüht einfach separat.
Aber trotz Entwarnung bleibt die Suche nach der Ursache: Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos hatte zunächst erklärt, der Riss sei vermutlich durch einen winzigen Meteoriten verursacht worden. Stimmt aber nicht, räumte der Roskosmos-Direktor Dmitri Rogosin inzwischen ein: Stattdessen sei definitiv ein Mensch verantwortlich. Jetzt werde fieberhaft danach gesucht, wer die Raumfähre warum beschädigt hat.
Neben Schlamperei gebe es laut Rogosin auch "eine andere Version, die wir nicht ausschließen: eine absichtliche Störung im Weltall". Laut Rogosin wurden "mehrere Versuche" festgestellt, ein Loch in die Sojus-Kapsel zu bohren. Diese seien mit "zögerlicher Hand" ausgeführt worden. Nun müsse geklärt werden, ob es sich um einen Herstellungsfehler oder um einen vorsätzlichen Akt handele.
Schlamperei wahrscheinlich
Vermutlich wurde die Raumfähre bereits in der Testphase auf dem Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan beschädigt. So schreibt der Raumfahrt-Journalist Eric Berger in Ars Technica, es gebe Hinweise, dass ein Techniker den Bohrfehler sah und das Loch mit Leim bedeckte, wodurch das Problem bei einem Vakuumtest auch nicht erkannt wurde.
Während sich die für das Raumstationsprogramm zuständige NASA in Schweigen hüllt, erklärte Roskosmos-Chef Rogosin: "Wir sind in der Lage, die Ursache auf einen technischen Fehler eines Technikers einzugrenzen. Wir können die Markierung sehen, wo der Spiralbohrer entlang der Oberfläche des Rumpfes rutschte. Wir wollen den vollen Namen des Schuldigen herausfinden - und das werden wir."
Fataler Vertuschungsversuch
Hergestellt wurde die Sonde vom russischen Unternehmen Energia. Dort gab es nach Angaben eines ehemaligen Mitarbeiters und jetzigen Professors an der Staatlichen Universität Moskau vor Jahren schon einmal einen ähnlichen Fall. Bei Untersuchungen nach der Landung fand man damals "ein Loch, das vollständig durch den Rumpf eines Wiedereinstiegsmoduls gebohrt wurde", so Viktor Minenko in der Zeitschrift Gazeta.RU. "Aber der Techniker meldete den Defekt niemandem, sondern versiegelte das Loch mit Epoxidharz." Der Verantwortlich sei gefunden und gefeuert worden, so Minenko.
Das jüngst entdeckte Loch wurde aber nicht mit Epoxidharz, sondern mit Leim geflickt - das kann im All nicht halten. Da der Sojus-Rumpf aus einer Aluminiumlegierung besteht, hätte er nur durch Schweißen auf der Erde richtig repariert werden können. Aber dafür hätte der Fehler gemeldet werden müssen.
Da es in der Vergangenheit bei der Sojus-Produktion und auch bei der Qualitätskontrolle immer wieder zu schwerwiegenden Problemen und Startausfällen kam, wurde Roskosmos-Chef Rogosin erst im Mai ernannt, um in der Agentur für Ordnung zu sorgen.