Russland, Kunst und Kirche
28. März 2013DW: Frau Lomasko, in Ihrem Buch "Verbotene Kunst. Eine Moskauer Ausstellung" dokumentieren Sie, unterstützt von dem Journalisten Anton Nikolajew, den Gerichtsprozess gegen die Kuratoren Andrej Jerofejew und Jurj Samodurow. In einer Ausstellung hatten die beiden Werke gezeigt, die aus politischen und religiösen Gründen aus russischen Museen und Galerien entfernt worden waren. Gegen die Ausstellung hatte eine Organisation orthodoxer Gläubiger "wegen Schürens religiöser Feindschaft" geklagt. Warum haben Sie Bilder von dem Prozess gezeichnet?
Wiktoria Lomasko: Als Staatsbürgerin sah ich mich schon öfter gezwungen, auf Gerichtsprozesse aufmerksam zu machen. So war es auch bei den Verhandlungen zur "Verbotenen Kunst". Dazu kam, dass ich einen unglaublichen Ansporn als Künstlerin hatte: Erstmals kam ich mit orthodoxen Aktivisten enger in Berührung. Ursprünglich wollte ich gar nicht den ganzen Prozess besuchen und im Ergebnis ein Buch veröffentlichen. Das hätte ich auch gar nicht geschafft, wenn es nicht jene Aktivisten gegeben hätte. Sie inspirierten mich. Ich habe sie sogar liebgewonnen, weil sie mir so viele wunderbare und unglaubliche Szenen lieferten. Ich habe einfach alles skizziert, was ich sah und alles niedergeschrieben, was ich hörte. Es war unglaublich, was sie so sagten! Man kam sich vor wie im Mittelalter.
Es war aber nicht das letzte Mal, dass Sie auf orthodoxe Aktivisten trafen. Welchen Eindruck hatten Sie von dem Prozess gegen die Frauen der russischen Punkband Pussy Riot?
Alles, was bei den Verhandlungen im Fall "Verbotene Kunst" so wenig zum Ausdruck kam, trat plötzlich zum Vorschein. Als den Kuratoren jener Ausstellung der Prozess gemacht wurde, dachten die meisten Beobachter noch, das sei Unsinn oder irgendein Zufall. Auch hielten viele Künstler Jerofejew und Samodurow für Provokateure, die für ihre Lage selbst verantwortlich seien. Es gab viele kritische Artikel und die Meinung, die Ausstellung könnte wirklich beleidigend sein. Und dann kamen Pussy Riot. Da war es auf einmal umgekehrt: Nicht orthodoxe Aktivisten drängten sich der zeitgenössischen Kunst auf, sondern zeitgenössische Künstler störten mit ihrem sogenannten Punk-Gebet in der Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale die Gläubigen. Und was bei dem Pussy Riot-Prozess los war! Den Prozess zur "Verbotenen Kunst" hatten nur sehr wenige Journalisten besucht, es waren vor allem ausländische. Aber über den Pussy Riot-Prozess wurde ausführlich berichtet. So wurde auch der Allgemeinheit bekannt, dass die Anschuldigungen gegen die Frauen auf mittelalterlichen Regeln beruhten. Alle waren schockiert.
Wie könnte die nächste Runde der Konfrontation zwischen Kunst und Kirche aussehen?
Es war lange unklar, wie der Prozess zur "Verbotenen Kunst" ausgeht. Viele unterstützten Jerofejew und Samodurow nicht, weil sie dachten, die beiden hätten nichts zu befürchten - maximal eine kleine Geldstrafe. Am Ende wurde aber klar, dass ihnen Gefängnis droht. Soweit ich weiß, konnte eine Freiheitsstrafe nur verhindert werden, weil sich wichtige Leute mit Verbindungen zur Politik der Sache annahmen. Beim Pussy Riot-Prozess wurde dann kein Geheimnis mehr daraus gemacht, dass der Staat völlig auf der Seite der Kirche ist, dass das Urteil im Voraus feststeht, dass die tatsächlichen Richter Präsident Putin und Patriarch Kyrill heißen, und dass es jedem so ergehen wird, der es wagt, sich den beiden zu widersetzen. Allen Künstlern wurde zu verstehen gegeben: "Wenn Ihr euch zu weit vorwagt, werden wir uns euch vornehmen." Aber das ermuntert Künstler nur, noch mehr zu unternehmen und die immer stärker werdende Position der Kirche, die nicht mehr von der Politik getrennt ist, weiter zu kritisieren. Die Regierung wird im Gegenzug natürlich die Gesetze weiter verschärfen.
Sie rechnen also nicht mit Frieden zwischen Kirche und zeitgenössischer Kunst?
Nein. Selbst wenn wir als Künstler keine Aktionen unternehmen oder Werke zeigen, die offen Religion und Kirche kritisieren, wird man unsere Ausstellungen, unsere Welt angreifen. Die andere Seite ist die zunehmende Selbstzensur: Viele Galeristen, Kuratoren und Museumsvertreter wollen es nicht mehr darauf ankommen lassen, dass jene orthodoxen Zensoren bei ihnen auftauchen. Sie selbst wollen bestimmte Arbeiten nicht mehr zeigen. Manch einer nutzt die Situation, um in die Medien zu kommen. Andere fürchten Skandale und greifen deswegen zur Selbstzensur. Und andere wiederum wollen zu Helden werden, indem sie an dem Thema festhalten.
Zu welcher Kategorie zählen Sie sich selbst?
Derzeit zu keiner. Ich will auf keinen Fall eine Medienfigur werden. Auch sehe ich mich derzeit nicht gezwungen, zur Selbstzensur zu greifen oder mich zu einer Heldin zu machen.
In einer Einzelausstellung bei uqbar in Berlin zeigt Wiktoria Lomasko noch bis zum 14. April 2013 Zeichnungen zu den Prozessen um "Verbotene Kunst" und "Pussy Riot". Im Januar 2013 erschien das Buch "Verbotene Kunst. Eine Moskauer Ausstellung" mit Lomaskos Reportagen beim Berliner Verlag Matthes & Seitz.