Lucas Cranach der Ältere: Der Maler als Marke
8. April 2017Künstler müssen auch gute Unternehmer sein. Das war in der Renaissance nicht anders als heute. Lucas Cranach der Ältere beherrschte die Kunst der Selbstvermarktung wie kein anderer seiner Zeitgenossen. Eine kleine Schlange mit zwei Fledermausflügeln, Rubinring im Maul und einer Krone auf dem Kopf, wurde zum Markenzeichen und Gütesiegel von Lucas Cranach dem Älteren. Im 16. Jahrhundert muss dieses kleine Tierchen in Künstlerkreisen so bekannt gewesen sein wie heutzutage Coca-Cola. Lucas Cranach der Ältere malte es bescheiden an den unteren Rand seiner rund 500 Werke, die er im Laufe seines Lebens schuf. Kurfürst Friedrich III., für den er als Hofmaler arbeitete, hatte ihm dieses Emblem 1508 höchstpersönlich verliehen.
Schlange als Qualitätssiegel
Für den am 4. Oktober 1472 im kleinen Kronach in Franken geborenen Künstler - den Namen gab er sich in Anlehnung an seinen Geburtsort - bedeutete die Verleihung dieses Emblems einen sozialen Aufstieg. Damit überholte er seinen Vater, einen Künstler, der ihm das Malen beigebracht hatte, um Längen. Manchmal scheint diese kleine Schlange wie ein ironischer Kommentar auf das Dargestellte, wenn Lucas Cranach etwa die nackte Venus malte: Lebensgroß steht sie da, mit erhobenem Haupt, der durchsichtige Schleier verhüllt nicht die Scham, im Gegenteil: Er weist erst recht auf die laszive Nacktheit der Liebesgöttin hin. Um den Hals trägt sie wie selbstverständlich kostbaren Schmuck, der die verführerische Wirkung dieser Schönen mit der hohen Taille noch verstärkt. Die lebensgroße Darstellung des Aktes war Cranachs großer Coup, als erster Maler nördlich der Alpen übernahm er sie aus der Renaissance-Kunst Italiens.
Publikumswirkame Kunst
Lucas Cranach der Ältere wusste mit seiner Kunst ein breites Publikum zu erreichen. Als er sich in Wittenberg an der Elbe, 1505 nicht größer als ein Dorf, niederließ, war die Zeit reif für ihn. Friedrich III., der Weise genannt, war gerade dabei, den knapp 3000 Einwohner-Ort in eine Residenzstadt zu verwandeln, in der Wissenschaft und Künste das Sagen haben sollten. Cranach war kein Unbekannter. Er hatte sich in humanistischen Kreisen in Wien schon einen erstklassigen Ruf und Respekt als begabter Porträtist erarbeitet. In Wien malte der damals knapp 30-Jährige Adlige, Juristen und Gelehrte aus dem Dunstkreis der Universität.
Friedrich III. holte Lucas Cranach als Hofmaler nach Wittenberg, ein Glücksfall für den Fürsten Sachsens, der im Hermelinmantel, seiner schwarzen Kopfbedeckung und würdevollem Blick in zahlreichen Werken Cranachs noch heute Respekt einflößt.
Neue Kunst für einen neuen Menschen
Lucas Cranach setzte den italienischen Einfluss der Renaissance in einen eigenen Malstil um: Er schuf subtile Werke voller Anspielung auf Bildung und Gelehrtenstand des neuen Menschen, der sich von den Fesseln des Mittelalters befreite hatte und stolz im Hier und Jetzt lebte. Die Ausstellung im Museum Kunstpalast, die rund 200 Gemälde und Druckgrafiken des berühmten Renaissance-Malers zeigt, analysiert die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Aufträgen, Materialien, Techniken, Werkstatt-Organisation und künstlerischen Ausdrucksformen.
Viele Werke sind zwar bekannt, andere jedoch zum ersten Mal zu sehen: etwa die "Madonna mit Kind" (1510) aus Breslau, die ein Geistlicher während des Zweiten Weltkriegs geistesgegenwärtig gegen eine Kopie austauschte und sie so wahrscheinlich vor der Zerstörung bewahrte. Erst 2012 tauchte sie wieder auf und ist nun wieder in Deutschland zu sehen.
Die Welt veränderte sich radikal zu Cranachs Zeit - und seine Kunst sollte dabei helfen. Dazu baute er eine große, florierende Werkstatt in Wittenberg auf, in der er mit seinen Söhnen und mit vielen Malergehilfen daran arbeitete, diese neue Sicht möglichst schnell und reibungslos an den Mann zu bringen.
Cranachs Werkstatt produzierte unaufhörlich Nachschub
Cranach produzierte in Serie: Er ließ Figuren und Motive der Einfachheit halber abpausen, führte Arbeitsteilung ein, bot festgelegte Formate an, arbeitete mit Variationen und Vervielfältigungen. Er führte das produktivste Atelier des 16. Jahrhunderts und verkaufte auf Bestellung, mit kurzer Lieferzeit, eine Venus und eine Lucretia nach der anderen. Derart tatkräftig und effizient konnte er auch die Ideen der Reformation bildnerisch umsetzen. "Er hat die Ideen verbreitet, indem er Porträts in riesigen Stückzahlen produziert und die neuen Bildthemen in entsprechender Anzahl geschaffen und europaweit verbreitet hat", sagt Gunnar Heidenreich, der das Cranach Digital Archive im Museum Kunstpalast in Düsseldorf leitet.
"Meister – Marke – Moderne" nennt sich die Ausstellung in Düsseldorf. Den Markenkern Lucas Cranachs beschreibt Heidenreich so: "Er hat es verstanden, über Jahrzehnte gleiche Qualität zu liefern und seine Mitarbeiter dahin zu trimmen, Werke zu realisieren, die so gut sind, dass sie vom Meister nicht zu unterscheiden sind."
Cranach: Maler der Reformation
Martin Luther und Lucas Cranach – die beiden muss eine innige Männerfreundschaft verbunden haben. Lucas Cranach war nicht nur Trauzeuge bei der Heirat von Luther und der Ordensschwester Katharina von Bora, er war auch der Taufpate der Kinder. Und er malte den großen Reformator unzählige Male. Die beiden trafen sich in Wittenberg an der Elbe. Cranach hatte ein Monopol auf die Porträts Luthers, scheute aber auch nicht davor zurück, Porträts katholischer Auftraggeber anzunehmen. Trotzdem sagt Heidenreich: "Ohne Cranach wäre die Reformation europaweit nicht so erfolgreich gewesen."
Beispiellose Karriere in Wittenberg
Anatomische Korrektheit war nicht das Entscheidende für Cranach. Seine Figuren legte er locker an - und er nahm sich sogar die Freiheit, sie später auch noch einmal zu verändern, wie Gunnar Heidenreich bei der Untersuchung des Bildgrunds und der Komposition während seiner Tätigkeit für das Digital Cranach Archive feststellte. "Konturen waren für ihn wichtiger als korrekte Gliedmaßen, wie sie Dürer im Blick hatte." Cranach interessierte sich mehr für die Gesamtkomposition. Wie gekonnt und ironisch er die Bedürfnisse seiner Auftraggeber erfüllte, wie leichthändig er Meisterwerke schuf und wie einfühlsam er seine Porträts malte, all dies lässt sich in der grandiosen Ausstellung in Düsseldorf entdecken.
Von der Renaissance bis heute
Nicht zum ersten Mal zeigt eine Ausstellung, wie im 20. und 21. Jahrhunderts die Bildwelt Cranachs nachhallt. Viele seiner Motive tauchen bei Künstlern wieder auf, die die Collage und das Zitat lieben. Besonders die Künstler der Moderne interessierten sich für die Frauendarstellungen des Renaissance-Malers: Ernst Ludwig Kirchner, Pablo Picasso und Otto Dix adaptierten die Motive. Aber auch Andy Warhol schuf die Lucretia nach und präsentierte die antike Heldin, die sich aus Scham selbst erdolcht. Vielleicht hat er erkannt, dass Cranach schon im 16. Jahrhundert die Prinzipien der Pop Art antizipiert hatte.