Luxemburg am Scheideweg
14. April 2014Es ist ein kleines Land, das französische Genussfreude, deutsche Genauigkeit und belgische Lässigkeit vereint. Eigentlich könnte Luxemburg ein Vorzeigemodell für Europa sein. Wie selbstverständlich sprechen viele Luxemburger mehrere Sprachen. Nicht nur weil der Ministaat von Belgien, Frankreich und Deutschland geographisch umarmt und von den viel größeren Nachbarn kulturell und sprachlich beeinflusst wird, sondern auch weil fast jeder zweite Bewohner aus dem Ausland kommt. In Luxemburg-Stadt sind es sogar zwei Drittel. So kosmopolitisch sind noch nicht einmal Metropolen wie Berlin oder New York.
Es sind aber in erster Linie die wirtschaftliche Annehmlichkeiten, die das nach Malta zweitkleinste EU-Mitglied zu einer Art Schlaraffenland gemacht haben. Dazu gehört der niedrigste Mehrwertsteuersatz in der Union, der bei 15 Prozent liegt. Beschäftigte können ebenfalls mehr als zufrieden sein. Der Mindestlohn ist mit rund 1900 Euro der höchste in der EU. Hinzu kommt eine Lebensqualität wie kaum woanders. So weisen die Spitzen-Restaurants von Luxemburg-Stadt 17 Michelin Sterne vor, mehr als viele andere europäische Städte, die um ein Vielfaches größer sind.
Druck durch Ende des Bankgeheimnisses
Doch die Idylle ist ins Wanken geraten. Die Banken- und Schuldenkrise hat den Luxemburgern ihre Abhängigkeit vom Finanzsektor schmerzhaft bewusst gemacht. Außerdem hat das Land als Steueroase keine Zukunft mehr. Spätestens seitdem das Ende des Bankgeheimnisses beschlossen wurde, muss das Großherzogtum umdenken. Im Jahr 2016 sollen nämlich neue EU-Regeln in Kraft treten, wonach die Steuerbehörden aller 28 Mitgliedsstaaten untereinander Informationen über Einkommen aller Art von EU-Ausländern austauschen. Faktisch bedeutet dies das Ende des Bankgeheimnisses für Ausländer. Und faktisch auch das Ende einer wichtigen Einnahmequelle Luxemburgs, dessen Staatseinnahmen zu einen Großteil von außerhalb stammen.
Durch die Eurokrise sei der "Druck auf Luxemburg größer geworden, was Steuerpolitik und Steuerhinterziehung angeht", sagt die luxemburgische Journalistin Pia Oppel vom öffentlich-rechtlichen Sender 100,7 der Deutschen Welle. Luxemburg habe bei diesem Thema lange gebremst, und "man konnte sehen, dass wir den Ruf als Vorzeige-Europäer ganz schnell abwerfen können, wenn es um unsere eigene Interessen geht". Nun sei eine Umstrukturierung im Gange.
Allerdings könne man sich nicht vom Finanzbereich verabschieden. "Die Abhängigkeit ist so groß, dass ein öffentliches Nachdenken über eine wirkliche Exit-Strategie fast tabuisiert ist", erklärt die Journalistin Oppel. Aber es werde darüber nachgedacht, auf andere Märkte außerhalb der EU auszuweichen, weil dort der automatische Informationsaustausch kein Thema sei. "Die kleinen Privatbankkunden, die 300.000 Euro vor ihrem Steueramt hinterziehen, auf die zielt man jetzt nicht mehr ab."
Luxemburg als Einwanderungs-Musterland
Noch ist nicht absehbar, welche Folgen dies für ausländische Beschäftigte haben könnte. Bisher gilt Luxemburg als Einwanderungs-Musterland, in dem es kaum Integrationsprobleme und einen stetigen Bedarf an ausländischen Arbeitnehmern gibt. Einer Gesamtbevölkerung von 520.000 Menschen stehen nach offiziellen Angaben 380.000 Arbeitsplätze gegenüber. Ohne externe Hilfe ist das kaum zu stemmen. Gut ein Viertel der Arbeitskräfte sind deshalb ansässige Ausländer, den Rest machen die sogenannten Grenzgänger aus. Fast 150.000 Menschen pendeln täglich aus dem Ausland nach Luxemburg zur Arbeit.
Probleme mit Ausländerfeindlichkeit oder offener Diskriminierung gibt es kaum. Was auch daran liegt, dass Luxemburg lange Zeit Migranten sehr bewusst ausgewählt hat. Länder mit ähnlicher Kultur und Religion wurden klar bevorzugt. Die Einwanderer kommen zwar aus 170 verschiedenen Nationen, 86 Prozent sind aber EU-Bürger. Die Portugiesen stellen mit 20 Prozent die mit Abstand größte Ausländerfraktion vor Franzosen, Italienern, Belgiern und Deutschen.
Weil es in den 1960er-Jahren einen Bedarf der Stahlindustrie und Landwirtschaft gab, wurden viele Gastarbeiter ins Land geholt. Wegen des Zusammenbruchs der Schwerindustrie durch die weltweite Überproduktion 1975 musste Luxemburg auf eine neue tragende Branche umsatteln. Immer mehr Banken siedelten sich an, als die Nachbarländer begannen, Zinsgewinne zu besteuern. Jetzt sind es vor allem die hoch bezahlten Top-Jobs im Finanzsektor, die ausländische Fachkräfte ins Land locken.
Allerdings ist die Harmonie auf Pump finanziert. Hohe Sozialstandards und Löhne fordern ihren Preis; nicht nur weil Lebenshaltungskosten und Mieten steigen. "Wir haben große Probleme. Wir haben immer mehr Schulden. Die Schulden haben sich verzehnfacht in den letzten Jahren", sagt die luxemburgische EU-Parlamentarierin Astrid Lulling von den Christdemokraten im DW-Interview. Dies sei nicht nur eine Folge hoher Mindestlöhne im privaten, sondern auch im öffentlichen Sektor. "Wir machen Schulden, um die zu hohen Löhne im öffentlichen Sektor zu bezahlen", klagt Lulling. "Ein Grundschullehrer bekommt soviel Rente, wie ich als Europaabgeordnete verdiene. Ich beziehe 6.100 Euro Gehalt und ein Grundschullehrer hat 6.000 Euro Pension in Luxemburg."
Ein Leben über den Verhältnissen
Es gebe deshalb fast keinen Luxemburger mehr in den europäischen Institutionen, weil dort die Anfangsgehälter und die späteren Gehälter niedriger seien als im öffentlichen Sektor. "Manchmal sogar niedriger als der Mindestlohn", erläutert die EU-Parlamentarierin weiter. In Zeiten wegfallender Einnahmequellen können hohe Löhne und soziale Wohltaten zu einer Belastung werden. Zur Begrenzung der Miesen müsste Luxemburg eigentlich von Lohnsteigerungen absehen und sich vom Steuerdumping als nationalem Geschäftsmodell verabschieden.
Dies gilt aber als unwahrscheinlich, denn der Mini-Staat wäre dann für viele ausländische Unternehmen und Spitzenkräfte keine Standortgröße mehr. Außerdem liegt die Staatsverschuldung Luxemburgs im europaweiten Vergleich derzeit auf einem noch sehr moderaten Niveau. Doch spätestens, wenn der Wegfall des Bankgeheimnisses zu spüren ist, wird sich Luxemburg wieder einmal neu erfinden müssen. Sonst droht der wirtschaftliche und soziale Absturz. "Wir leben über unsere Verhältnisse in Luxemburg", kommentiert Europaparlamentarierin Lulling.