Maaßen: Terroristische Szene gewachsen
22. Februar 2017Aus dem "Arabischen Frühling" sei eine "Arabische Eiszeit" geworden. Eine Million vor allem junge arabischstämmige Männer, davon 70 bis 80 Prozent ohne Pass, seien im Zuge der Flüchtlingskrise nach Deutschland gekommen. Die Regierung Trump sei außenpolitisch noch immer ein großes Fragezeichen. In den Beziehungen zu Russland erlebe Deutschland im Zeitraffer eine Umkehrung des einstigen Wandels vom Feind zum Partner und Freund. Dazu kommen populistische Parteien, die "die europäische Politik hassen". Das Bild, das Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, am zweiten Tag desEuropäischen Polizeikongresses in Berlin zeichnete, war ziemlich düster. Er sprach von einem Transformationsprozess, in dem einstige Konstanten wie das transatlantische Verhältnis zu Variablen geworden seien. "Am Ende des Prozesses wird es neue Konstanten und ein neues Machtgefüge geben", so Maaßen.
Das alles seien die komplexer gewordenen Rahmenbedingungen, unter denen der Verfassungsschutz seinen Kampf gegen Terrorismus führen müsse, sagte er. Dabei sei die Aufgabe der Terrorbekämpfung an sich schon komplex genug, weil sich auch dort viel verändert habe.
Westeuropa im Fokus
In der Phase nach 2001 habe man es mit Terrorkommandos zum Beispiel aus Afghanistan zu tun gehabt. Nun seien es vor allem Einzeltäter und Kleingruppen, die Anschläge verübten, so Maaßen. Von den 15 Anschlägen in Europa im Jahr 2016 seien nur drei von Kommandos verübt worden. Neu sei auch, dass viele der Täter über aktive Kampferfahrung in der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) verfügten - und deshalb inzwischen "professioneller mit Kalaschnikows umgehen können als viele Schutzpolizisten".
Die islamistisch-terroristische Szene sei insgesamt stark gewachsen. "Wir zählen inzwischen 1600 Personen zum islamistisch-terroristischen Personenpotenzial", so Maaßen. Gegen Ende des Jahres 2016 lag die Zahl noch bei rund 1200 Personen. Als islamistische "Gefährder" - denen ein Anschlag zugetraut wird - hatte das Bundeskriminalamt zuletzt rund 570 Personen geführt.
Digitale Moschee-Gemeinden
Im Cyberraum sei eine schwer zu überblickende Parallelwelt entstanden - Maaßen sprach von "islamistischen Moschee-Gemeinden" im Internet. Attentäter würden über WhatsApp durch den IS gesteuert.
Im vergangenen Jahr sei es zu fünf Anschlägen in Deutschland gekommen. Viele andere seien verhindert worden. Täglich zwei, manchmal auch vier Hinweise über geplante Anschläge würden beim Verfassungsschutz einlaufen. Über die Hotline beim Verfassungsschutz seien im Jahr 2016 insgesamt 1104 Hinweise eingegangen, doppelt so viele wie im Jahr zuvor und zehn Mal so viele wie noch 2013. Allein vor Weihnachten und Silvester habe es 20 konkrete Hinweise gegeben.
Sicherheitsarchitektur unter Druck
Maaßen fasste diesen Lagebericht in der Äußerung zusammen: "Wir leben in einer Lage und nicht mehr in einem Normalzustand." Deutschland brauche deshalb variable, der Lage angepasste Ressourcen. Die bestehende Sicherheitsarchitektur stamme aus den 1950er-Jahren und habe sich im Normalzustand bewährt. Nun aber unterliege sie einer täglichen Prüfung. Vor diesem Hintergrund plädierte Maaßen dafür, die Vorschläge des Bundesinnenministers Thomas de Maiziere über eine veränderte Sicherheitsarchitektur aufzunehmen und zu debattieren.
Neben der Terrorbekämpfung sei der Cyberraum noch eine andere große Herausforderung. Ausländische Nachrichtendienste würden das Internet nutzen, um zu spionieren, zu sabotieren oder zu desinformieren. Das sei effizient und kostengünstig. Vor allem aber steige die Verwundbarkeit ständig, "weil im Westen immer mehr mit dem Cyberraum zusammenhängt". Die Angriffsfläche werde auch im Zusammenhang mit der Industrie 4.0 immer größer, warnte Maaßen eindringlich.
Am Ende seiner Rede gab Maaßen den Zuhörern des Polizeikongresses dennoch wieder etwas Optimismus mit auf den Weg: "Wir können die Lage in den Griff bekommen."