Machtkampf in Kiew spitzt sich zu
3. Juli 2015Sieben Monate nach der Bildung der ukrainischen Koalitionsregierung verlor Ministerpräsident Arseni Jazenjuk zwei Minister an einem Tag. Als erster musste Umweltminister Ihor Schewtschenko am Donnerstag gehen. Ein Flug von Nizza nach Kiew im Privatjet mit einem umstrittenen Geschäftsmann wurde dem 44-Jährigen zum Verhängnis - so die Darstellung der Regierung. Der geschasste Minister dagegen bestreitet alle Korruptionsvorwürfe.
Beobachter in Kiew vermuten, dass ein Kampf um politischen Einfluss und Zugang zu Bodenschätzen, vor allem Gas, dahinter stecken könnte. Ukrainische Medien beschreiben Schewtschenko als jemanden, der der früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko nahe stehen soll. Timoschenko sagt, ihre Partei sei zwar an der Koalition im Parlament beteiligt, habe jedoch keine Minister entsandt. Die einflussreiche Kiewer Onlinezeitung "Ukrainska Prawda" schrieb jedenfalls am Donnerstag, der Fall habe "die Spaltung in der Koalition deutlich gemacht".
Abschied vom Hoffnungsträger aus Georgien
Noch mehr Aufsehen erregte die zweite Entlassung: Auch Alexander Kwitaschwili (Artikelbild), ein Georgier und einer von drei aus dem Ausland stammenden Ministern, wurde gezwungen zu gehen. "Wir haben an dem Minister nichts auszusetzen, doch er kann heute nicht das Ministerium leiten", sagte am Dienstag Ihor Kononenko, stellvertretender Fraktionsvorsitzender des Poroschenko-Bündnisses BPP. Die Lage im Gesundheitsministerium sei "unkontrollierbar". Am Mittwoch legte Kwitaschwilis Landsmann und ehemaliger Präsident Georgiens nach: "Ich habe ihm gesagt, es ist Zeit für ihn zu gehen", sagte Michail Saakaschwili, der seit kurzem Gouverneur im südukrainischen Gebiet Odessa ist. Die Ukraine brauche einen "aggressiveren Mann", der die Korruption bekämpfe.
Der Gesundheitsminister habe seinen Rücktritt eingereicht, twitterte am Donnerstag die Partei des Präsidenten. Doch das Ministerium dementierte, in den Medien herrschte Verwirrung. Erst am Nachmittag erklärte Kwitaschwili, dass er doch sein Amt niederlege. "Wenn das Bündnis, das mich eingeladen hatte, über meinen Rücktritt nachdenkt, ohne das mit mir zu besprechen, ist es richtig zu gehen", sagte er vor der Presse in Kiew. Das Parlament stimmte zu.
Gesundheitsreform auf dem Papier
Dieser Abgang hat eine große symbolische Kraft. Noch vor rund einem halben Jahr wurde Kwitaschwili als Hoffnungsträger gefeiert. Er sollte das Gesundheitswesen radikal reformieren. Der Mann, der in Georgien erfolgreich eine Krankenversicherung nach westlichem Standard eingeführt hatte, war berufen worden, um dasselbe auch in der Ukraine zu tun. Anfang des Jahres bezifferte Kwitaschwili Schmiergeldzahlungen im ukrainischen Gesundheitssystem auf jährlich acht bis zehn Milliarden US-Dollar. Es sei das Dreifache des Etats des Ministeriums. "Dieses Geld stecken sich Ärzte in die Tasche", schimpfte der Minister.
Viel geschafft hat Kwitaschwili nicht. Er ersetzte alle Abteilungsleiter in seinem Ministerium, kippte das undurchsichtige System der Versorgung von staatlichen Kliniken mit Medikamenten und ließ eine grundlegende Gesundheitsreform erarbeiten. Ende Juni stellte er das Reformpaket der Regierung vor. Ob und wie es jetzt umgesetzt wird, ist nach seinem faktischen Rauswurf offen.
Machtkampf vor Staatspleite?
Die Entlassung von zwei Ministern ist nicht das einzige Anzeichen von Spannungen in der Regierungskoalition. Auch Innenminister Arsen Awakow und Verteidigungsminister Stepan Poltorak stehen in der Kritik. Die Partei des Präsidenten habe die Regierung gebeten, Korruptionsvorwürfe gegen diese Ministerien zu überprüfen, sagte Ende Juni Fraktionschef Juri Luzenko. Er selbst erklärte am Donnerstag überraschend seinen Rücktritt. Luzenko gilt als Vertrauter des Präsidenten und ist Vorsitzender seiner Partei. Nun wird über die Hintergründe seines Rücktritts als Fraktionschef gerätselt.
Manche Beobachter sehen in den jüngsten Entwicklungen vor allem einen Machtkampf vor dem Hintergrund der dramatischen wirtschaftlichen Lage. Das Bruttoinlandsprodukt der Ukraine schrumpfte im ersten Quartal um 17,6 Prozent. Für das zweite und dritte Quartal werden ähnliche Zahlen erwartet. Die Nationalbank geht von einer Jahresinflation von 48 Prozent aus. Die Europäische Union oder der Internationale Währungsfonds (IWF) beeilen sich nicht, der Ukraine neue Milliardenhilfen zu geben. Die Regierung in Kiew bereitet sich auf einen möglichen Staatsbankrott Ende Juli vor.
Diese Entwicklung wirkt sich negativ auf Umfragewerte der Parteien aus. Besonders stark betroffen ist die Volksfront des Ministerpräsidenten Jazenjuk. Die Partei, die bei der Parlamentswahl im Oktober 2014 mit über 22 Prozent die meisten Stimmen bekam, liegt heute unter fünf Prozent. Sie würde aktuellen Umfragen zufolge nicht ins Parlament einziehen. Das Poroschenko-Bündnis, damals auf Platz zwei, würde dagegen rund 16 Prozent und damit die meisten Stimmen bekommen. Im Herbst stehen in der Ukraine Kommunalwahlen an. Bis dahin dürfte die Regierungskoalition in Kiew halten.