Macron: Bodentruppen für die Ukraine?
27. Februar 2024Spät am Abend sagte Emmanuel Macron Sätze, die man so von einem westlichen Politiker zum russischen Krieg gegen die Ukraine selten gehört hat. Nach einer kurzfristig zusammengetrommelten Gipfelrunde von 25 Regierungen aus Europa, den USA und Kanada benutzte der französische Staatspräsident die Formel, man werde "alles tun, was nötig ist, solange es nötig ist."
Bislang hatte man auf zahlreichen Gipfeltreffen zur Verteidigung der Ukraine über Hilfen und Unterstützungsleistungen gesprochen. Aber was meinte Macron nun mit seiner Aussage, wurde er von Journalisten gefragt. Der Präsident, der für Frankreich mehr und mehr eine Führungsrolle bei der Unterstützung der Ukraine beansprucht, antwortete, nichts sei ausgeschlossen, auch der Einsatz von Bodentruppen, von französischen Soldaten, nicht. Allerdings schränkte Macron sofort ein, das dies noch eine theoretische Diskussion sei. Es gebe unter den versammelten Staaten in Paris, zu denen auch Deutschland, Polen, das Vereinigte Königreich und die baltischen Länder gehörten, "keine Einigkeit" in einer solchen Frage. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico bestätigte am Abend, dass man das Thema diskutiert habe. Einige Länder, auch sein eigenes, hätten diese Möglichkeit zumindest nicht ausgeschlossen, so Fico.
Gedankenspiele stoßen in Deutschland auf Kritik
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Morgen nach der Konferenz in Paris allerdings, es habe Einigkeit geherrscht, dass es keine europäischen Soldaten in der Ukraine geben werden. Er widersprach damit Macron und Fico bei einer Veranstaltung in Freiburg, nachdem er gestern am Abend zunächst geschwiegen hatte.
Es war klar, dass der französische Präsident mit seinen Äußerungen eine Diskussion unter den westlichen Alliierten auslösen würde, die bislang bestenfalls hinter verschlossenen Türen stattgefunden hatte. Konkrete Angaben ließ Emmanuel Macron denn auch vermissen. Meinte er Kampftruppen, Soldaten zur logistischen Unterstützung, Ausbilder oder Bedienungspersonal für die vom Westen gelieferten Waffensysteme?
Der deutsche Regierungschef hatte vor seiner Anreise zur Ukraine-Konferenz noch einmal deutlich gemacht, dass er keine weit reichenden Taurus-Marschflugkörper aus deutschen Beständen an die ukrainische Armee liefern werde. Scholz mahnte, dass Großbritannien und Frankreich, die Marschflugkörper mit kürzerer Reichweite und Zieldaten lieferten, sich möglicherweise zur Kriegspartei machten. Und er bestätigte so zum ersten Mal öffentlich, dass britische und französische Soldaten mit der Programmierung der Zieldaten der Marschflugkörper aktiv in den Abwehrkampf gegen Russland eingreifen. Die Soldaten sind aber, soweit bekannt, nicht in der Ukraine stationiert.
Macron kritisiert indirekt Scholz
Aus dem klaren Nein des Bundeskanzlers zu einer Lieferung von Marschflugkörpern kann geschlossen werden, dass er den von Macron angedeuteten Einsatz von westlichen Soldaten in der Ukraine auf jeden Fall ablehnt. Sie wäre nicht nur in den Augen der deutschen Bundesregierung eine neue Eskalationsstufe. Der französische Präsident sparte in seiner Pressekonferenz nicht mit Kritik an der seiner Ansicht nach zögerlichen Haltung der deutschen und anderer EU- und NATO-Staaten. "Viele der Leute, die heute 'Niemals!' sagen, sind die gleichen, die vor zwei Jahren gesagt haben: Niemals Panzer, niemals Flugzeuge, niemals Raketen, niemals dies, niemals das", sagte Emmanuel Macron. Vor zwei Jahren hatte Russland die Ukraine großflächig angegriffen.
Deutsche Politiker aus der Regierungspartei Bündnis90/Die Grünen und auch aus der christdemokratischen Opposition wiesen in Rundfunktinterviews am Morgen Macrons Gedankenspiele zu Bodentruppen zurück. Kremlsprecher Dmitri Peskow reagierte in Moskau auf erwartbare Weise: Im Falle einer Entsendung westlicher Truppen, so Peskow, sei ein direkter Konflikt zwischen der NATO und Russland nicht mehr nur eine Möglichkeit, sondern unabweisbar.
Koalition für Marschflugkörper ohne Deutschland
Nach einem langen Abendessen im Elysée kündigte Gastgeber Macron zudem die Bildung einer Koalition der Willigen zur Lieferungen weitreichenderer Waffen und Marschflugkörper an. Welche Länder dabei mitmachen, blieb allerdings unklar. Klar war aber die Botschaft an Deutschland, dass Macron nicht mehr auf einen Meinungsumschwung bei Kanzler Scholz in Sachen "Taurus" warten wollte. Überlegt wurde wohl, Deutschland zu bitten, die Taurus-Raketen an Großbritannien und Frankreich zu liefern, die sie dann ohne deutsche Bundeswehrbeteiligung in der Ukraine zum Einsatz bringen könnten.
Die estnischeRegierungschefin Kaja Kallas wiederholte in Paris ihren Vorschlag, gemeinsam als EU-Staatengemeinschaft Schulden aufzunehmen, um Waffenkäufe für die Ukraine zu finanzieren. Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte noch am Freitag beim EU-Finanzministertreffen Eurobonds oder die Aufnahme gemeinsamer Schulden für die Verteidigung klar abgelehnt.
Mehr "Souveränität" für Europa
Lange wurde in der Gipfelrunde in Paris über den möglichen Ausfall der USA als wichtigstem Waffenlieferanten für die Ukraine gesprochen. "Dieser Krieg bestimmt unsere Zukunft", sagte Emmanuel Macron, egal wie die Wahlen in den USA im November ausgehen würden. Es gehe um Europa, das sich selbst schützen müsse. "Wir sind überzeugt, dass eine Niederlage Russlands unabdingbar für Sicherheit und Stabilität in Europa ist."
Bislang bestand Frankreich darauf, europäisches Geld auch bei europäischen, vorzugsweise französischen Waffenherstellern auszugeben. Jetzt erklärte Macron, er unterstütze eine Initiative Tschechiens zum Munitionskauf außerhalb des Kontinents. Tschechien will bis zu 800.000 Artilleriegranaten aus Drittstaaten besorgen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte am Montag kritisiert, dass die EU bislang nur ein Drittel der zugesagten Million Granaten geliefert habe. Die EU sprach bislang von 500.000 gelieferten Schuss Munition.
Frankreich könnte zulegen
Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass Frankreich bislang nicht zu den größten Waffen- oder Munitionslieferanten gehört. An der Spitze stehen nach Erkenntnis des Kieler Instituts für Weltwirtschaft die USA und Deutschland, wenn es um absolute Zahlen geht. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, also zur Wirtschaftsleistung eines Landes, sind die baltischen Staaten und Dänemark führend. Für Emmanuel Macron gäbe es also noch Luft nach oben, wenn es um konkretes Handeln und nicht nur um theoretische Diskussionen über etwaige Truppenabstellungen gehen soll.