Maduro wagt Wahlen
25. Juni 2015An Lippenbekenntnissen zur Demokratie mangelt es nicht in der Sozialistischen Einheitspartei Venezuelas (PSUV). Allein ihre Auslegung der Volksherrschaft wäre in international anerkannten Rechtsstaaten wohl nicht mehrheitsfähig: "Die beste Art, echte Demokratie neu zu erfinden und zu gestalten, ist, den Sozialismus aufzubauen", sagte Partei- und Landespräsident Nicolás Maduro Ende Mai auf einem Regierungs-Kongress mit dem Titel "Demokratie des 21. Jahrhundert erfinden".
Demokratie und Sozialismus - das geht für Maduro offenbar Hand in Hand. Und, wenn es darauf ankommt, geht ihm der Sozialismus auch über die Demokratie. Dennoch tat das Nationale Wahlkomitee nun einen wichtigen Schritt, um den Willen zur Demokratie zu untermauern: Es setzte den Termin für die Parlamentswahlen fest. Am 6. Dezember 2015 sollen die Venezolaner die 165 Abgeordneten der Nationalversammlung neu wählen. Es ist sozusagen das Thron-Jubiläum des Parteigründers Hugo Chávez, der am 6. Dezember 1998 erstmals zum Präsidenten gewählt wurde.
Schwache Regierungspartei
Zuvor hatten Mitglieder des Oppositionsbündnisses MUD (Tisch der Demokratischen Einheit) bereits infrage gestellt, ob die Regierungspartei überhaupt Wahlen abhalten würde. Zwar ist es in Venezuela nicht unüblich, einen Urnengang mit nur sechs Monaten Vorlauf zu terminieren. Aber die Frage stand im Raum, weil die Aussichten der Regierungsgegner besser sind als je zuvor in 17 Jahren PSUV-Herrschaft.
Von Chávez' überragendem Rückhalt in der Bevölkerung kann sein Nachfolger Maduro nämlich nur träumen. Seine Zustimmungswerte bewegen sich seit Monaten um 25 Prozent. Und auch seine Partei kam in einer Umfrage im April nicht über diese Marke hinaus. Angesichts der fortschreitenden Wirtschafts- und Versorgungskrise in Venezuela kehren immer mehr Wähler der PSUV den Rücken. Das Oppositionsbündnis MUD dagegen erhielt in der gleichen Erhebung knapp 46 Prozent der Stimmen.
Die Chance der Opposition
Mit solchen Kräfteverhältnissen in der Nationalversammlung würde der MUD wohl die Parlamentspräsidentschaft übernehmen und damit die Graue Eminenz der Regierungspartei, Diosdado Cabello, aus dem Amt Verdrängen. Der gilt parteiintern als mindestens so mächtig wie Maduro und wurde wahrscheinlich nur deshalb nicht Präsident, weil Hugo Chávez ihn nicht in dieser Rolle sah. Seine Entmachtung wäre ein großer Schritt in Richtung Machtwechsel.
Doch ob die Opposition das Umfrageergebnis auch in der Parlamentswahl erzielen kann, ist unsicher. Maßgeblich wird sein, wie demokratisch die Wahlen verlaufen.
Die venezolanische Regierung und Präsident Maduro haben mehr als einmal ihren unbedingten Willen zur Macht bewiesen. Wichtige Oppositionspolitiker haben sie unter fadenscheinigen Vorwürfen auf unbestimmte Zeit ins Gefängnis verfrachtet. Und - auch wenn die letzten Präsidentschaftswahlen alles in allem als sauber gelten - wurden vereinzelte Übergriffe von regierungsnahen Milizen auf Wahlbüros registriert.
Seit dem 15. März darf Maduro zudem per Dekret regieren - bis Ende des Jahres. Das könnte ein Grund dafür sein, dass sich die Regierungspartei pünktlich zur Wiederwahl stellt. Hinzu kommt, dass es keine Anzeichen für einen wirtschaftlichen Aufschwung in absehbarer Zeit gibt. "Je später die Wahlen, desto schlechter dürfte die PSUV abschneiden", analysierte der US-Think-Tank Stratfor im März. Mit einem Aussetzen der Wahlen, heißt es in derselben Analyse, wäre Maduro sogar auf parteiinterne Widerstände getroffen - auch weil das der Opposition erst recht Argumente liefern würde.
Demokratie ist Sozialismus
Denn dann wäre der demokratische Lack der Regierung endgültig ab. Wobei Maduro erst am Tag der Wahlterminierung, dem 22. Juni, noch einmal verdeutlichte, was er unter Demokratie und Mehrheitswillen versteht: "Wenn die Opposition die Nationalversammlung übernimmt", rief er seinen Genossen auf einer Parteiveranstaltung zu, "werde ich der erste sein, der auf die Straße stürmt, um mit dem Volk von Venezuela die sozialen Rechte zu verteidigen."
Friedliche Demonstrationen meinte er nicht. Diese Konfrontationen, erklärte er, würden die Proteste von 2014, bei denen 43 Menschen starben, wie einen "Säugling" aussehen lassen.
Damit stellt Maduro klar, dass seine "Demokratie des 21. Jahrhunderts" nichts anderes ist, als der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", den sein toter Mentor Hugo Chávez proklamierte.