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Maduro wankt, aber fällt (noch) nicht

16. März 2019

Steht der wirtschaftliche Kollaps der Regierung von Nicolás Maduro kurz bevor? Die Wirtschaftswissenschaftlerin Sary Levy-Carciente erklärt im DW-Interview, dass der Zusammenbruch nur noch eine Frage der Zeit sein kann.

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Venezuela Nicolas Maduro Rede Anhänger
Bild: Reuters/Miraflores Palace

DW: Eine Studie der Barclays Bank kommt zu dem Ergebnis, dass der Regierung von Nicolás Maduro in Venezuela noch zwei Wochen bis zum wirtschaftlichen Zusammenbruch bleiben. Haben die Macher der Studie Recht?

Sary Levy-Carciente: Die venezolanische Wirtschaftslage hat sich in den letzten Jahren verschlechtert und insbesondere ab dem Jahr 2017 mit dramatischer Geschwindigkeit. Wenn Sie sich die Konten des Staates genauer ansehen, werden Sie feststellen, dass es maximal noch drei Wochen oder einen Monat dauern kann, bis die Regierung Maduro zusammenbricht. Wir haben aber auch gelernt, dass es der Regierung leider egal ist, dass es der Bevölkerung immer schlechter geht. Jede Regierung, die so unter Druck steht, wird immer ein Minimum an Ressourcen an das Volk verteilen, um den Sturm politisch gerade noch zu überstehen. 

Welche Devisenquellen hat Maduro überhaupt noch?

Das Problem, das wir Wirtschaftswissenschaftler haben, ist der Mangel und die Undurchsichtigkeit an Informationen, um mit der gebotenen Professionalität die makroökonomische Realität abzubilden. Wir beobachten aber merkwürdige Transaktionen, zum Beispiel Einzahlungen für Gold auf die Konten der Zentralbank. Die Frage ist, an wen hat die Regierung dieses Gold verkauft? Und woher kommt das Gold? Die gleiche Frage stellt sich beim Abbau der Bodenschätze im Naturschutzgebiet Arco Minero. Wer sind dort die beteiligten Akteure? Die Informationen, die wir haben, sind alle sehr verdächtig, aber leider reichen sie nicht für einen zu 100 Prozent wasserdichten Bericht aus. Sicher ist aber, dass die traditionellen Einnahmequellen der Regierung, also die Steuern für Bürger und Unternehmen und natürlich die Einkünfte aus den Ölexporten, immer weniger werden.

Sary Levy-Carciente
Sary Levy-Carciente, Wirtschaftwissenschaftlerin an der Universidad Central in CaracasBild: Privat

Zeigen die Sanktionen der USA schon Wirkung in Venezuela?

Die Sanktionen der Vereinigten Staaten werden langsam spürbar. Aber es dauert natürlich einige Zeit, bis die Öltransaktionen annulliert sind, sodass die Regierung sich immer noch mit Einnahmen aus früheren Verkäufen über Wasser halten kann.

Was waren Ihrer Meinung nach die größten wirtschaftspolitischen Fehler der Regierung von Nicolás Maduro?

Was wir heute in Venezuela sehen, ist das natürliche Ergebnis eines Wirtschaftsmodells, das sich komplett an einem ideologischen politischen Modell orientiert. Die Produktion des Privatsektors wurde kontrolliert, verhindert und erstickt, und die staatliche Produktion wurde gleichzeitig von einem zentralisierten Elfenbeinturm und einer zentralisierten Planung aus gesteuert. Die wirtschaftlichen Dynamiken funktionieren aber heute nicht mehr so. Institutionen wurden zerstört, Rechtsstaatlichkeit abgebaut, keine Transparenz war sichtbar und das hat zu großem Misstrauen auf den weltweiten Finanzmärkten beigetragen. Dies wiederum verringert die Investitionsanreize für internationale Unternehmen. Dazu kommt die venezolanische Realität, dass wir in hohem Maße vom Öl abhängig sind und wir deswegen nicht umsonst als "Petro-Staat" bezeichnet werden. Und natürlich die Korruption. All dies führt zu dem nationalen Zusammenbruch.

Wenn die Regierung Maduro tatsächlich bald fallen sollte, wie lange würde Venezuela brauchen, um sich ökonomisch zu erholen?

Wie bei allem im Leben ist der erste Moment entscheidend, wenn es wirklich zu einem Wandel kommen sollte. Und dann, wie dieser Wandel vonstatten geht, ob es also gelingt, einen attraktiven Weg für die Zukunft aufzuzeigen. Wenn beides gelingt, bin ich sicher, dass dies international Vertrauen schafft, Investitionen anlockt und damit den Wiederaufbau des Landes erleichtern wird. Aber es wird definitiv nicht einfach werden. Venezuela ist im vergangenen Jahrzehnt in vielen Bereichen in hohem Maße zerstört worden. Die Lebensqualität der Bürger hat enorm gelitten, Moral und Ethik im Umgang mit öffentlichen Geldern sind verloren gegangen und der Anteil der ärmeren Bevölkerung ist stark gewachsen. Außerdem gibt es auch sehr viele venezolanische Fachleute, die ausgewandert sind, und nicht alle von ihnen werden zurückkehren.

Venezuela Juan Guaido in der Nationalversammlung
Juan Guaidó hat mit Hilfe von Experten an einem künftigen Wirtschaftsprogramm für Venezuela gearbeitetBild: Reuters/M. Bello

Wenn Sie sich vorstellen, Sie wären künftige Finanzministerin von Venezuela, welche ersten Schritte müsste ein wirtschaftlicher Wiederaufbau beinhalten?

Das erste, was wir aus makroökonomischer Sicht tun müssen, ist, die Schulden umzustrukturieren und neu zu verhandeln. Wir brauchen dabei die Unterstützung durch internationale Organisationen, um unseren Haushalt wieder in Ordnung zu bringen. Und mit dem Geld, das uns zur Verfügung steht, müssen wir zunächst einmal die Grundbedürfnisse der Bevölkerung stillen. Gleichzeitig müssen wir den institutionellen Rahmen wieder aufbauen. Venezuela muss wieder ein Gefühl für eine liberale Demokratie bekommen. Es braucht einen Markt, der Raum für einen gesunden Wettbewerb für die Produktion gibt, und einen Staat, der die Kontrolle als Regulierer und Förderer von Chancen ordnungsgemäß übernimmt.

Bräuchte Venezuela dann also einen Marshall-Plan wie damals Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs? Sie haben gesagt, Venezuela benötige 40 Milliarden Dollar als erste Nothilfe.

Das glaube ich definitiv. Und wir brauchen nicht nur einen Plan für den Wiederaufbau, sondern auch eine Art Friedensprozess. Wir müssen uns dabei um die Menschen kümmern, aber auch um die Wiedererlangung der nationalen Sicherheit. 

Sary Levy-Carciente ist Wirtschaftswissenschaftlerin und lehrt an der Universidad Central von Caracas. Sie gehört einem Netzwerk von Experten an, dessen Empfehlungen in Juan Guaidós Wirtschaftsprogramm eingeflossen sind.

Das Interview führte Oliver Pieper.