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PolitikEuropa

Mafia-Skandal immer gefährlicher für Erdogan

Daniel Derya Bellut
1. Juni 2021

Ein Mafiapate legt Beziehungen zwischen der türkischen Regierung und der türkischen Unterwelt offen. In einem neuen Video spricht er von illegalen Waffengeschäften zwischen Ankara und islamistischen Milizen.

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Türkei | Pressekonferenz Erdogan
Bild: DHA

Mit seinen Videobotschaften sorgte der Mafiapate Sedat Peker in den Sozialen Netzwerken für Aufsehen. Mehrere Videos gibt es von ihm auf YouTube - jedes davon ging viral und bestimmt seither die Schlagzeilen in der Türkei. In seinen Ansprachen macht er namhaften Politikern aus der Regierungspartei ungeheuerliche Vorwürfe: Sie seien in Mord, Vergewaltigung, Drogenschmuggel, Machtmissbrauch und viele weitere kriminellen Machenschaften verwickelt.

Der 49-jährige Sedat Peker war der türkischen Öffentlichkeit schon lange Zeit bekannt. Er gilt als feste Größe in der türkischen Unterwelt, musste sich mehrmals wegen Mordes, versuchten Mordes und Entführung vor Gericht verantworten und wurde wegen der "Gründung einer kriminellen Organisation" verurteilt. Peker flüchtete 2020 zunächst in die Balkan-Länder. Laut seinen Aussagen ist er jetzt in Dubai.

Sedat Peker, türkischer Mafia Boss in Exil
Der Mafiaboss Peker hält mit seinen Enthüllungen seit Wochen die Türkei in Atem Bild: Anka

Waffen für die al-Nusra-Front

Auch die Botschaft seines achten Videos hat es in sich: Dieses Mal verdächtigt er die türkische Regierung, im Jahr 2014 illegal Waffen an die dschihadistische Miliz al-Nusra-Front geliefert zu haben. Die terroristische Organisation kämpft im syrischen Bürgerkrieg gegen Machthaber Baschar al-Assad und seine Armee.

Den Vorwurf macht er an einer persönlichen Anekdote fest: Er sei zu diesem Zeitpunkt im Kontakt mit Regierungsvertretern gewesen, die ihm dabei helfen sollten, Hilfsgüter an die turkmenischen Rebellen in Nordsyrien zu liefern. Doch die Dinge haben sich offenbar anders entwickelt, als Peker sich das vorgestellt hatte. Einige Lastwagen, die unter seinem Namen Richtung Syrien fuhren, wurden demnach mit Waffen und Munition beladen und gingen nicht an turkmenische Rebellen, sondern steuerten Vertreter der Al-Nusra-Front an. Der Mafiaboss ergänzt, dass die Waffen-Lieferung von dem Sicherheits- und Militärunternehmen SADAT organisiert worden sei - die private Firma steht der türkischen Regierung nahe. Der Gründer Adnan Tanriverdi ist der ehemalige Sicherheitsberater des türkischen Präsidenten Erdogan. SADAT hat die Behauptungen unterdessen zurückgewiesen.

Syrien Al-Nusra-Front Twitter-Bild Kämpfer in Idlib
Hinweise verdichten sich: Hat Ankara Waffen an Islamisten geliefert? Bild: picture-alliance/AP Photo/Nusra Front on Twitter

Auch Exil-Journalist Dündar berichtete über Waffenschmuggel

Die Botschaft Pekers ist auch daher brisant, weil in der Türkei schon länger Hinweise kursieren, dass Ankara in Waffengeschäften mit islamistischen Extremisten verwickelt ist. Der sich in Deutschland im Exil befindende ehemalige Chefredakteur der Oppositionszeitung Cumhuriyet, Can Dündar, machte in der türkischen Öffentlichkeit Furore, als er im Jahr 2015 über einen vermeintlichen Waffenschmuggel berichtete, bei dem der türkische Geheimdienst MIT Waffen und Munition an Extremisten in Syrien geliefert habe soll.

Der Beitrag sollte sich für Dündar, der heute in Berlin lebt, schwer rächen. Er wurde in der Türkei verhaftet und verlor seinen Job als Chefredakteur, bevor er schließlich im Juli 2016 seine Heimat verlassen hat. Um dem Strafvollzug zu entgehen, flüchtete er ins deutsche Exil. Im Dezember 2020 wurde Dündar wegen Spionage und Unterstützung einer terroristischen Organisation in seiner Abwesenheit zu 18 Jahren und neun Monaten Haft wegen Spionage sowie zu weiteren acht Jahren und neun Monaten wegen Terrorunterstützung verurteilt. Ein abschließendes Urteil hat das Oberste türkische Gericht (Yargitay) aber noch nicht gefällt.

Pekers Beweise wecken Hoffnungen, dass Dündars Prozess neu aufgerollt werden könnte. Can Dündar sagte der DW allerdings, dass er sich nicht allzu große Hoffnungen mache. "Man kann vom Rechtssystem im jetzigen Zustand keine ernsthaften Schritte erwarten."

"Du verdienst es, zu sterben"

Dass ausgerechnet der Mafiapate den türkischen Journalisten entlasten könnte, ist eine kuriose Wende in diesem Fall: Nach eigenen Angaben erhielt Dündar von dem Mafioso, weil er über den vermeintlichen Waffenschmuggel des türkischen Geheimdienstes (MIT) berichtete, eine Nachricht mit den Worten: "Du hast die Nation betrogen. Daher verdienst du es, zu sterben." Damals war Peker noch Anhänger der türkischen Regierung. "Es bringt viele zum Lachen, dass unser Bericht mit dem MIT-Laster nun von einem Anführer der organisierten Kriminalität verifiziert wurde." Dass ein Insider auspackt, mache die Aussagen besonders wirkungsvoll.

Can Dündar Deutsche Welle Global Media Forum SHIFTING POWERS
Hatte auch über Waffenlieferungen berichtet: Can Dündar, Ex-Chefredakteur der Cumhuriyet Bild: Malte Ossowski/SvenSimon/picture alliance

Aus Sicht des ehemaligen Chefredakteurs zielen Pekers Anschuldigungen direkt auf Präsident Erdogan: "Was mich im letzten Video überrascht hat, war, dass er die Verbindungen zum Präsidentenpalast offengelegt hat." Viele Einzelheiten (zu den Waffenlieferung) seien auch vor den Enthüllungen bekannt gewesen. "Aber niemand wagte es, die Verbindungen zu Erdogan richtig aufzuarbeiten." Peker habe in seinem Video relevante Namen genannt, die Verbindungen zum Präsidentenpalast haben, so Dündar.

Peker will Erdogan ins Visier nehmen 

Pekers YouTube-Auftritt bedeutet einen weiteren Image-Schaden für Recep Tayyip Erdogan. Lange Zeit hatte der türkische Präsident zu den Behauptungen des Unterwelt-Bosses geschwiegen; nur sporadisch nahm er ab und zu Stellung zu den Enthüllungen. Seit Wochen wird spekuliert, warum sich der normalerweise so meinungsstarke Präsident so zurückhält. Auch Dündar sei nicht entgangen, dass "Erdogan sehr geduldig war und sich immer genau überlegt hat, was er über ihn sagt".

Kombobild Sedat Peker und Süleyman Soylu
Innenminister Süleyman Soylu (re.) und Mafiaboss Sedat Peker: von Freund zu Feind

Alleine mit den ersten acht Video-Botschaften löste der Mafiaboss Peker ein politisches Erdbeben aus. Das nächste Video, das kommenden Sonntag veröffentlicht werden soll, wird mit besonders viel Spannung erwartet. Er kündigte an, dass er im nächsten Video den türkischen Präsidenten direkt adressieren werde.

Es wird eine Abrechnung mit Erdogan erwartet, mit dem er eigentlich ein gutes Verhältnis haben soll. In seinen Videos nannte er den Präsidenten liebevoll Abi – zu deutsch: großer Bruder.Wochenlang konfrontierte der Mafioso den türkischen Innenminister Suleyman Soylu in seinen Video-Botschaften mit mehreren Vorwürfen. Nachdem die Luft für Soylu immer dünner wurde und die Rücktrittsforderungen der Opposition immer lauter, solidarisierte sich schließlich Erdogan. "Wir stehen hinter unserem Innenminister." Offensichtlich eine Provokation für Peker. Er kündigte an, dass er am kommenden Sonntag aufdecken möchte, in was für einer Beziehung er zu dem türkischen Präsidenten steht.