Mann der alten Garde
11. November 2004Am 11.November verstarb Palästinenserpräsident Jassir Arafat im Alter von 75 Jahren bei Paris. "Ein großes Herz hat aufgehört zu schlagen", sagte Arafats Sekretär Tajib Abdel Rachim in Ramallah. Der Palästinenserführer war seit dem 29. Oktober in einer französischen Militärklinik behandelt worden. Tagelang hatte er dort im Koma gelegen, während sich sein Zustand immer weiter verschlechterte.
Mann mit Vergangenheit
Die Rolle des Palästinenserführers im Nahen Osten war maßgeblich: In den Jahren der israelischen Besatzung vor den Oslo-Abkommen gerieten Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen immer wieder ins Schwärmen: Wenn sie erst einmal könnten, dann würden sie aus Palästina eine Musterdemokratie machen. Ein freies und fortschrittliches Land. Ihr Vorbild war Israel – trotz der Besatzung und all der negativen Erfahrungen.
Obwohl Arafat nach den Oslo-Abkommen den Friedensnobelpreis erhielt, verziehen ihm viele Israelis nie den langjährigen bewaffneten Kampf der Palästinenserorganisaton PLO gegen ihren Staat. Der heutige Ministerpräsident Ariel Scharon behandelte Arafat als Unperson und wusste auch zu verhindern, dass er seinem Wunsch gemäß im Ostteil Jerusalems beigesetzt wird. Dagegen bleibt Arafat für die meisten Palästinenser eine Lichtgestalt und Integrationsfigur, ohne die unabsehbare interne Spannungen drohen.
Arabische Staaten als Vorbild
Mit dem Abkommen über die Autonomie des Westjordanlands (Oslo II) bekamen die Palästinenser die autonome Herrschaft über ein Drittel des Westjordanlands zugesprochen. Jüdische Siedlungen und Militärstützpunkte wurden von dem Abkommen ausgeklammert. Doch sobald die Palästinenser die ersten Schritte in Richtung politische Selbstbestimmung unternehmen konnten, waren die Träume von der Musterdemokratie ausgeträumt.
Nicht die Palästinenser aus den besetzten Gebieten hatten das Sagen, sondern die PLO-Führung aus dem Exil im tunesischen Tunis, die unter ihrem Chef Jassir Arafat heimkehrte, um sich in Gaza und Ramallah zu etablieren. Es war die alte Riege – Männer, die in der traditionellen arabischen Welt aufgewachsen waren und die ihre Vorstellungen von Staat oder Autonomieverwaltung ausrichteten am Vorbild der arabischen Staaten. Mit Demokratie hatte das wenig zu tun.
Korruption und Unterdrückung
Wäre Arafat nicht eine so unantastbare Gallionsfigur für alle Palästinenser gewesen, hätte es vielleicht längst einen Aufstand derer gegeben, die unter der Besatzung gelebt hatten und groß geworden waren. Aber auch sie hatten all die Jahre erklärt und von der Welt eingefordert, dass nur die PLO als legitime Vertreterin der Palästinenser zu betrachten sei und nur Arafat als der legitime Führer.
Glücklich konnten sie nicht werden mit den Folgen dieser Strategie: Denn der schlaue Taktiker Arafat, der unter Missachtung aller Gefahren für Leib und Leben jahrzehntelang den Kampf gegen Israel geführt hatte, erwies sich eigentlich als unfähig, den Palästinensern das zu geben, was sie sich erhofften: einen Staat ohne Korruption und Unterdrückung der Andersdenkenden. Arafat führte die Autonomieverwaltung lange Zeit wie ein Privatunternehmen: mit geheimen Konten, mit der Bevorzugung gefälliger Diener und der Abstrafung aufmüpfiger oder auch nur kritischer Geister. Erster Akt der Autonomieverwaltung war zum Beispiel die Schließung einer pro-jordanischen Zeitung.
Kein Wandel zum Staatsmann
Dass Arafat einst mit den von ihm geleiteten Organisatonen für viele Terroranschläge und Morde im Laufe der vergangenen 40 Jahre verantwortlich war, haben ihm nicht nur viele Israelis bis heute nicht verziehen. Doch auch andere Terroristen haben sich in der Geschichte sehr wohl zu honorigen Staatsmännern gemausert.
Aber Arafat hat diesen Schritt vom Untergrundkämpfer und Terroristen zum Staatsmann nie richtig geschafft. Trotz Friedensnobelpreis und anderer Ehrungen weltweit, mit denen man ihn ermutigen wollte, den Weg zum Frieden weiterzugehen. Dass er es nicht getan hat, hat Arafat nicht allein zu verantworten, die verschiedenen israelischen Politiker haben kräftig das ihre dazu beigesteuert.
Und jetzt?
Arafat war ein Mann der alten Garde - eben keiner, von dem man einen innovativen Staat und neue Ideen hätte erwarten können. Ob einer seiner verbliebenen Mitstreiter aus dem libanesischen oder tunesischen Exil dazu in der Lage wäre, muss bezweifelt werden. Und es ist bezeichnend, dass Arafat nicht einmal einen dieser Kameraden und Weggefährten als Nachfolger und politischen Erben aufgebaut hat.
Es könnte nun die Stunde der in der Heimat gebliebenen werden. Nur: Wer damals von einer Musterdemokratie geträumt hatte, dürfte auch diesmal ins Hintertreffen geraten. Die seit vier Jahren andauernde Intifada - der bewaffnete palästinensische Widerstand - hat junge bewaffnete Gruppen hochgespült, die keine Vorstellung von Demokratie und Freiheit haben, die frustriert, verärgert und verbittert sind, und sicher nicht von heute auf morgen auf einen – sich gegenwärtig ohnehin nicht abzeichnenden – Friedensprozess einschwenken werden.