Marcos‘ Balanceakt zwischen China und USA
29. August 2022Welchen Kurs wird der neue Präsident der Philippinen, Ferdinand "Bongbong” Marcos Jr., außenpolitisch einschlagen? Die Frage ist von Bedeutung für die Kräfteverhältnisse und Stabilität in der Region: Erstens sind die Philippinen neben Vietnam der Hauptkontrahent Chinas in den Territorialstreitigkeiten im Südchinesischen Meer. Zweitens sind die Philippinen einer der ältesten militärischen Verbündeten der USA in Asien. Dieses Bündnis wurde allerdings von Marcos‘ Vorgänger Duterte in Frage gestellt. Drittens sind die Beziehungen zwischen den pazifischen Vormächten USA und China zunehmend von Misstrauen und Rivalität um Einfluss geprägt. Manila wiederum muss seinen Platz zwischen den beiden Rivalen finden.
Marcos junior, der Sohn des 1986 gestürzten langjährigen Diktators gleichen Namens, will sich nicht zwischen China und den USA entscheiden, sondern pocht auf Eigenständigkeit seines Landes: "Ganz gleich, was die Supermächte zu tun versuchen, wir müssen im Interesse der Philippinen handeln. Wir können nicht zulassen, dass wir Teil der Außenpolitik anderer Länder werden", hatte Marcos vor seiner Wahl im Mai versprochen.
"Stärkster Partner China"
Allerdings steht Marcos anders als sein Vorgänger Duterte, der ebenfalls eine "unabhängige Außenpolitik der Philippinen" propagierte, zum militärischen Beistandspakt mit den USA. "Es gibt einige erste beobachtbare Verhaltensweisen, die nahelegen, dass Marcos kein 'Duterte 2.0' sein wird, sondern dass man aus meiner Sicht eher damit rechnen muss, dass er wieder den außenpolitischen Mustern seines Vaters folgen wird”, erklärt Felix Heiduk, Asienexperte der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) im Gespräch mit der DW. Ferdinand Marcos senior, der 1965 zum Präsidenten gewählt wurde und das Land von 1972 bis zu seinem Sturz 1986 diktatorisch regierte, war ein enger asiatischer Verbündeter der USA.
Als Marcos junior die Präsidentschaftswahl im Mai mit klarer Mehrheit gewann, wurde sein Sieg von manchen Beobachtern als günstige Entwicklung für China gewertet. Bei einem Treffen mit Chinas Vizepräsident Wang Qishan, der bei der Amtseinführung des neuen Präsidenten zu Gast war, bezeichnete Marcos China als "den stärksten Partner der Philippinen” und erklärte, die bilateralen Beziehungen auf eine "höhere Ebene” heben zu wollen. Auch anlässlich des Besuchs von Außenminister Wang Yi Anfang Juli betonte Marcos, dass man viele Möglichkeiten der Kooperation mit China ausloten müsse.Aber offenbar nicht unbedingt zu den von Peking gesetzten Bedingungen: Das zeigte Marcos' Entscheidung, chinesische Entwicklungskredite für drei Eisenbahnprojekte im Umfang von knapp fünf Milliarden US-Dollar, die unter Duterte vereinbart worden waren, mit Peking neu zu verhandeln. Möglicherweise werde man auch andere Finanzierungsquellen suchen, hieß es von der Regierung in Manila.
Territorialstreit ungelöst
Gleichzeitig verspricht Marcos der eigenen Bevölkerung, im maritimen Territorialstreit mit China die kompromisslose Verteidigung der nationalen Interessen. Sein Außenminister Enriqe Manalo erinnerte an das Urteil des Internationalen Schiedshofs von 2016, der Chinas Anspruch auf das gesamte Südchinesische Meer als null und nichtig zurückwies. Allerdings ohne praktische Folgen: China erkennt die Zuständigkeit des Haager Gerichts nicht an. Manila kann nicht viel mehr tun, als gegen das Eindringen chinesischer Küstenwach- und Fischereischiffe in seine Gewässer Protest einlegen.
Marcos trifft dennoch mit seinem verbalen Auftreten einen Nerv in der Bevölkerung, wie Asien-Expertin Jasmin Lorch von der Universität Erfurt sagt. "Im Moment zeigen die Umfragen, dass die philippinische Bevölkerung sich eine klare und harte Linie wünscht in Fragen der territorialen Souveränität und der Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer. Dies geht derzeit mit einer stärkeren Hinwendung an die USA einher." Das treffe sich gut mit der aktuellen Neuausrichtung der US-Politik: Nachdem Donald Trump eine lange Zeit traditionelle Beziehungen mit den südostasiatischen Staaten eher ignoriert habe, lege Joe Biden wieder stärkeres Gewicht auf die Bündnisse, so auch mit den Philippinen, sagt Lorch.
US-Außenminister Blinken betonte denn auch bei seinem Besuch in Manila Anfang August, der 70 Jahre alte Verteidigungspakt der beiden Länder sei "felsenfest". Er bekräftigte die militärische Beistandsgarantie der USA für die Philippinen, sollten deren Streitkräfte, Flugzeuge oder Schiffe angegriffen werden. Der Besuch Blinkens fand vor dem Hintergrund der Krise um den Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi statt, auf den China mit tagelangen Manövern in der Nähe der Insel reagierte. Marcos spielte jedoch beim Treffen mit Blinken den Konflikt herunter. Laut Reuters sagte er, die "ohnehin volatile Lage sei dadurch nicht intensiver geworden." Man habe sich "an dieses Niveau (der chinesisch-amerikanischen Beziehungen) schon gewöhnt." Sein Außenminister Manalo sagte, die USA seien gewiss ein bedeutender Verbündeter, aber was Taiwan betreffe, "so setzten die Philippinen darauf, dass die großen Mächte helfen, die die Lage zu beruhigen." Eine Zuspitzung der Situation könne man nicht gebrauchen.
Diese Äußerungen Manilas machen deutlich, dass man es sich dort bei aller Bündnistreue mit den USA nicht mit Peking verscherzen will. "Ein Stück weit hängt alles daran, wie sich die regionale Ordnung entwickelt und wie man entsprechend auf diese Ordnung agiert, insbesondere auf die regionale Sicherheitsarchitektur in Südostasien", sagt Asien-Experte Heiduk mit Blick auf die dominierende Rivalität der Großmächte USA und China in der Region. "Ich meine, Marcos junior wird eher in Richtung Multipolarität agieren, wie es bereits viele andere ASEAN-Staaten im Moment tun, die sich nicht pro China oder pro USA entscheiden wollen."