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Maren Koß: "Der Druck auf Israel steigt definitiv"

Kersten Knipp6. Juni 2014

Schon seit Jahren werde die Kritik am Siedlungsbau Israels immer stärker, sagt die Politologin Maren Koß. Die neuen Pläne seien auch in der Regierung umstritten - und verminderten die Chancen auf eine Zweistaatenlösung.

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Israelische Siedlung Itamar im Westjordanland, AUgust 2011
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund der Bildung der neuen palästinensischen Einheitsregierung die Ankündigung der israelischen Regierung, neue Siedlungen zu bauen?

Maren Koß: Die israelische Regierung stellte die Ankündigung, neue Siedlungen zu bauen, als direkte Reaktion auf die Bildung der palästinensischen Einheitsregierung dar. Sie begründete dies damit, dass sie diese Regierung als terroristisch betrachtet, da die Hamas an ihr beteiligt sei - wenn auch mit sogenannten technokratischen Ministern, die der Hamas nicht angehören. Allerdings muss man sagen, dass es offenbar keine Einigkeit innerhalb der israelischen Regierung bezüglich des Siedlungsbaus gibt. Denn so äußerte sich jetzt Justizministerin Livni und bezeichnete die Ankündigung des erneuten Siedlungsbaus als weiteren diplomatischen Fehler. Natürlich wirkt sich der Bau neuer Siedlungen negativ auf die Möglichkeit weiterer Friedensverhandlungen aus. Denn der Siedlungsbau ist eine Provokation gegenüber den Palästinensern.

Welche Motive stehen Ihrer Ansicht nach hinter dem Siedlungsbau?

Sicher kann man die Ankündigung des Baus neuer Siedlungen als direkte Reaktion auf die Formierung der neuen palästinensischen Einheitsregierung verstehen. Aber es geht auch um andere, strategische Motive, die maßgeblich politisch-religiöser Natur sind. Die Siedlungen zerstückeln die Westbank stark. Dadurch wird es immer schwieriger, eine Zweistaatenlösung zu erreichen. Zudem gewinnen die religiösen Juden sowohl in der israelischen Regierung als auch in der Gesellschaft immer stärker an Einfluss. So sind in der derzeitigen israelischen Regierung nationalreligiöse Parteien wie etwa das "Jüdische Heim" vertreten, das stark für den Ausbau von Siedlungen steht. Die ultraorthodoxen Juden befürworten den Siedlungsbau natürlich auch. Allerdings sind sie derzeit nicht in der Regierung vertreten.

Maren Koß (Foto: privat)
"Siedlungsbau ist Provokation gegenüber den Palästinensern": Maren KoßBild: Privat

Also weisen die Zeichen derzeit eher in Richtung eines weiteren Ausbaus der Siedlungen?

Die Frage ist, inwiefern sich die Regierung auf Zugeständnisse an die Palästinenser einlässt. Gerade das "Jüdische Heim" steht stark für den Siedlungsausbau. Ihr Vorsitzender Naftali Bennett fordert, Teile der Westbank zu annektieren. Und der jetzige Wohnungsbauminister ist ehemaliger Anführer einer Siedlerpartei und setzt sich stark für den weiteren Ausbau ein. Insofern ist es fraglich, ob etwa der Entschluss, den Siedlungsbau während Verhandlungen mit den Palästinensern einzufrieren, überhaupt eine Chance hätte, ohne dass die israelische Regierung deshalb zerfiele.

Wie sehen Sie angesichts des Siedlungsbaus die Chancen einer Zweistaatenlösung?

Eine Zweistaatenlösung scheint mir aufgrund der Zersplitterung der Westbank derzeit schwer realisierbar. Die Westbank ist in verschiedene Zonen aufgeteilt, in denen entweder nur die Palästinenser, die Palästinenser gemeinsam mit den Israelis oder nur die Israelis die Hoheit ausüben. Die C-Gebiete, die von Israel allein verwaltet werden, nehmen den größten Raum ein. Aber auch in den anderen Zonen, die von der Palästinensischen Autonomiebehörde verwaltet werden, greift Israel ein - etwa in Form von Razzien. Aus dieser Sicht kann man schon heute fast von einem einzigen Staatsgebiet sprechen. Insofern scheint mir eine Zweistaatenlösung in näherer Zukunft sehr schwierig.

Sollte es zu dieser aber doch kommen, ist es unwahrscheinlich, dass alle Siedlungen in der Westbank aufgelöst werden. Denkbar wäre, dass kleinere Siedlungen außerhalb größerer Siedlungsblöcke geräumt werden. Einige Siedler haben sich in dieser Hinsicht auch positiv geäußert. Etwa ein Drittel der Bewohner der großen Siedlung "Ariel" kann sich vorstellen, die Siedlung zu verlassen - vorausgesetzt, sie erhalten von der Regierung eine entsprechende finanzielle Kompensation. Aber etwa 40 Prozent derer, die außerhalb der großen Siedlungen leben, wollend ihre Häuser nicht freiwillig verlassen. Deutlich ist, dass die Siedler keinen einheitlichen Block darstellen, sondern durchaus unterschiedliche Interessen verfolgen.

Wie wird die israelische Regierung derzeit im Ausland wahrgenommen?

Der Druck auf Israel steigt definitiv. Und das nicht erst seit dem Beginn des Friedensprozesses, sondern seit mehreren Jahren. Die amerikanische, aber auch die deutsche Kritik an der Siedlungspolitik ist immer stärker geworden. Das hat es so gerade von deutscher Seite in der Vergangenheit nicht gegeben. Gerade jetzt, da die palästinensische Einheitsregierung zustande gekommen ist, gerät Israel stärker unter Druck. Die EU und die USA wollen nicht den Fehler von 2006 wiederholen, als die Hamas im Gazastreifen die Wahlen gewann und sämtliche Beziehungen dorthin abgebrochen wurden. Heute sagt man, es handele sich bei der neuen palästinensischen Regierung um eine technokratische Regierung, in der die Hamas nicht vertreten ist.

Auf diese Weise wollen die EU und die USA gesprächsoffen bleiben und weiter verhandeln, sodass auch Gelder weiter an die palästinensischen Regierung fließen können. Das kritisiert Israel stark. Ein weiteres Indiz für den steigenden Druck auf Israel sind auch die europäischen Boykotte von Produkten, die in israelischen Siedlungen hergestellt wurden. Zudem gelten Zollvergünstigungen, die die EU und Israel ausgehandelt haben, nicht für Produkte aus den Siedlungen. Die Boykotte schaden der israelischen Wirtschaft, da viele Siedler von ihren Produkten leben. Darum steigt der Druck auch von Innen auf die israelische Regierung, aktiv zu werden.

Hat die EU auch mit dem Forschunsgprogramm "Horizon 2020" Druck auf Israel ausgeübt?

Israel ist das einzige nicht-europäische Land, das an dem Forschungsprogramm Horizon 2020 der EU teilnimmt. Die EU hat festgelegt, dass keine Gelder an israelische Forschungseinrichtungen fließen dürfen, die in den Siedlungen ansässig sind. Die israelischen Wissenschaftler haben großen Druck auf die Regierung Netanyahu ausgeübt, eine Einigung mit der EU zu erzielen, sodass Israel am Programm Horizion 2020 teilnehmen kann. Denn eine Nichtteilnahme hätte natürlich die israelische Forschungslandschaft in Mitleidenschaft gezogen. Doch nun wird das Abkommen unterzeichnet.

Maren Koß ist Politologin und Islamwissenschaftlerin. Sie forscht am GIGA-Institut für Nahost-Studien in Hamburg.

Das Interview führte Kersten Knipp.