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Politik

"Kampf gegen den Terror nutzt vielen"

3. April 2017

Der Anti-Terror-Kampf hat für einige Akteure handfesten ökonomischen und politischen Nutzen, schreibt M. Bickel, Chefredakteur des Journals von Amnesty International, in seinem neuen Buch. Auch Deutschland profitiert.

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Deutschland Kampfpanzer vom Typ Leopard
Bild: Getty Images/AFP/C. Stache

DW: Herr Bickel, "Die Profiteure des Terrors" haben Sie Ihr Buch genannt. Wer sind diese Profiteure?

Markus Bickel: Einerseits sind es die Rüstungskonzerne weltweit. Sie erwirtschafteten im Jahr 2015 Umsätze im Wert von 370 Milliarden US-Dollar. An der Spitze stehen US-Konzerne. Aber auch in Deutschland haben Rüstungsunternehmen Waffen im Wert von fünf Milliarden EURO ins Ausland exportiert. Die anderen Profiteure des Terrors sind die arabischen Regime. Sie sind vielerorts Partner der westlichen Regierungen und können dank der Unterstützung durch diese ihren Repressionskurs gegen die eigenen Bevölkerungen fortsetzen – all dies unter dem Label "Kampf gegen den 'Islamischen Staat', Kampf gegen den Terrorismus".

Sie haben Deutschland erwähnt. Welche Funktion haben die Waffenexporte hierzulande?

Deutschland Autor Markus Bickel Buch Die Profiteure des Terrors
Journalist und Buchautor Markus Bickel

Eine doppelte. Die reichen Golfstaaten – Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Kuwait, Katar – schätzen einen gewissen Glitzerfaktor. Sie kaufen den Leopard-2-Panzer, nicht, weil sie tatsächlich Wüstenkriege führen wollten, sondern weil diese in ihre militärische Palette gut reinpassen. Und da will Deutschland nicht hintanstehen gegenüber der Konkurrenz aus den USA, Großbritannien oder Frankreich. Die Waffenexporte sind zugleich nur ein Teil einer ganzen Reihe von Geschäften. Sie sind deshalb interessant, weil die größten Partner im gesamtwirtschaftlichen Bereich Ägypten, Saudi-Arabien und die VAE sind. Sie zählen zugleich auch zu den bedeutendsten Kunden deutscher Rüstungsgüter.

Sie beschreiben in Ihrem Buch das teils sehr beachtliche Engagement vornehmlich golfarabischer Staaten in der deutschen Wirtschaft. Beeinflusst dieser Umstand auch das Waffengeschäft?

Das eine geht mit dem anderen einher. Ich habe Politiker der VAE gesprochen, die in Berlin von Bundeskanzlerin Merkel oder dem damaligen Außenminister Steinmeier begrüßt wurden, obwohl die Emirate im Jemen in einen Krieg verwickelt sind, der in den vergangenen zwei Jahren tausende Tode gefordert hat. Ich sehe Wirtschaftsdelegationen an der Seite von Ministern oder der Kanzlerin in die Golfstaaten reisen, die dort zivile Projekte an Land ziehen wollen, die aber auch militärische Projekte verfolgen. Zwar wollen sich die Golfstaaten bis 2030 von Waffenimporten weitgehend unabhängig machen. Aber auf den Technologietransfer können sie nicht verzichten. Insofern gehen ziviles und militärisches Wirtschaftsengagement Hand in Hand.

Deutschland exportiert Waffen in den Nahen Osten und versucht in den dortigen Konflikten zugleich zu vermitteln. Ist das nicht ein Widerspruch?

Es ist ein Widerspruch. Im März hat der Bundessicherheitsrat wieder Waffenlieferungen an die Emirate erlaubt – ein Land, das an der Spitze der Militärkoalition im Jemen steht. Gleichzeitig hatte Außenminister Gabriel Vertreter der jemninitischen Konfliktparteien in Berlin zu Gast, um mit ihnen politische Auswege aus dem Konflikt zu diskutieren. Das ist ein Widerspruch, der sich nur lösen lässt, wenn man die Rüstungsexporte in die entsprechenden Länder aussetzt. Das Europäische Parlament hat dementsprechend bereits 2016 gefordert, Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zu stoppen.

Eingangs sprachen Sie davon, die Waffenexporte würden oft mit dem Hinweis auf den "Krieg gegen der Terror", insbesondere gegen den IS legitimiert. Wie ließe sich diesem denn aus Ihrer Sicht angemessen entgegentreten?

Buchcover Die Profiteure des Terrors von Markus Bickel

Der Kampf gegen den IS muss auf mindestens vier Ebenen geführt werden. Eine davon ist sicherlich die militärische. Die anderen Ebene sind die politische, im Sinne einer Teilhabe der marginalisierten sunnitischen Bevölkerung (für die der IS sich zu engagieren behauptet, Anm. d. Red.).  Er muss ideologisch bekämpft werden – durch die Entkräftung des Arguments, dass Terroranschläge eine rasche Änderung der politischen Verhältnisse bewirken würden. Außerdem braucht es eine theologische Diskussion innerhalb der arabischen Welt. Dort könnte etwa über Schnittstellen zwischen der Ideologie des IS und dem Wahhabismus, der hochkonservativen Staatsreligion Saudi-Arabiens, gesprochen werden. In Jordanien und den VAE gibt es inzwischen Initiativen, die das Verhältnis zwischen Islam und Terrorismus diskutieren und den radikalen Kräfte so das Wasser entziehen. Aber das ist ein sehr langfristiges Projekt. Es folgt ganz anderen Rhythmen als die derzeitigen Kriege. Angesichts der durch sie produzierten Schrecken könnten aus ihnen weitere Terrororganisationen, etwa eine neue Version des IS oder eine weitere Entwicklung Al-Kaidas – eine Art Al-Kaida 3 – hervorgehen.

Was schlagen Sie vor, um die Waffenexporte und das mit ihnen verbundene Leid zu beenden?

Zweierlei. Zunächst geht es um eine langfristige Strategie, ein Generationenprojekt. Deutschland, überhaupt Europa sollte sich auf jene Kräfte besinnen, die im Jahr 2011 gegen die autoritären Regime auf die Straße gegangen sind. Trotz der Niederlage, die sie erlitten, sollte Europa diese Kräfte unterstützen. Die politischen Stiftungen könnten hier aktiv werden; es könnten Umweltprojekte gestartet werden, es könnten Stipendien für junge Verfolgte oder auch für junge Studierende gestiftet werden; ihr Wissen, verbunden mit demokratischem Geist, könnten die jungen Menschen dann zurück in die Umbruchstaaten tragen. Man sollte beachten, dass auch die französische und die amerikanische Revolution mehrere Phasen durchliefen und erst nach einer geraumen Zeit erfolgreich waren.

In Europa – auch in Deutschland – sollte ein Rüstungsexportgesetz verabschiedet werden, das Waffenexporte in Krisenstaaten und solche, die in Kriege verwickelt sind, verbietet. Eine entsprechende Liste, auf der die entsprechenden Staaten verzeichnet wären, ließe sich etwa alle drei Jahre überprüfen. So würde ein Kontrollregime etabliert, das verhindert, dass Staaten wie Saudi-Arabien, die Emirate, Katar oder Ägypten Waffen erhielten.

Das Gespräch führte Kersten Knipp.

Markus Bickel berichtete in den letzten zwei Jahrzehnten für zahlreiche Medien aus Sarajevo, Beirut, Bagdad und Damaskus. Zuletzt war er Nahostkorrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in Kairo. Seit 2017 leitet er in Berlin das „Amnesty Journal", die Zeitschrift für Menschenrechte. Sein Buch "Die Profiteure des Terrors: Wie Deutschland an Kriegen verdient und arabische Diktaturen stärkt" erscheint im Westend Verlag; 224 S., 18 Euro

 

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika