Martin Schulz ganz nah
22. Februar 2017Irgendwann noch früh am Tag witzelt Dietmar Woidke, ein Hüne von einem Mann und Ministerpräsident Brandenburgs: "Schön, dass ich auch mal was sagen darf!" Der Mann, um den es eigentlich geht, ist zwei Köpfe kleiner und lacht höflich. Martin Schulz, designierter Kanzlerkandidat und Parteivorsitzender der SPD, macht Station in Brandenburg. Drei Termine, bei denen er mit Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Ehrenamtlichen zusammentrifft. Seine erklärte Mission bei seiner Reise durch Deutschland: Das Land kennenlernen, das er nach der Bundestagswahl im September regieren will. Es ist auch eine gute Gelegenheit, den Kandidaten Schulz genauer zu betrachten.
Zum Beispiel im Konferenzsaal von Pedag International in Königs-Wusterhausen, nicht weit östlich von Berlin im Landkreis Dahme-Spree. Der Betrieb stellt Einlagen für Schuhe her und ist der größte Arbeitgeber vor Ort. Das Familienunternehmen gilt als vorbildlicher sozialer Arbeitgeber und gut aufgestellt bei der Weiterbildung und Mitarbeiterführung. Geschäftsführer Thomas Timm erklärt, wie sich das auf die Bilanzen und das Arbeitsklima auswirkt: positiv natürlich.
Schulz nickt ernst. "Das ist die Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa", sagt er. Und es komme auf die Wertschätzung der Menschen an, fährt er fort, denn die fühlten sich oftmals nicht ernst genommen: "Am Ende herrscht oftmals so eine Wahrnehmung, dass Menschen Kostenfaktoren mit Ohren sind."
Die SPD-Leitfigur
Wenn Schulz das sagt, dann klingt das tiefernst und betroffen. Seine Stimmung strahlt aus. Die Körpersprache der Leute im Raum zeigt das. Später wiederholt sich das bei den Terminen im nahegelegenen Lübben. Schulz sitzt neben Ministerpräsident Woidke und dem Landrat des Kreises Stephan Loge.
Wenn Schulz die Ellenbogen auf die weiße Resopalplatte stellt und die Handflächen vor seinem Kinn aneinanderlegt, dann machen das die beiden neben ihm so ähnlich. Verschränkt er die Arme, folgen die Leute um ihn herum auch bald der Geste. Schulz ist zurückhaltend, aber jeder spürt, dass er hier der Alpha-Mann ist. Seine Konzentration beim Zuhören ist so intensiv, dass sich bald alle Aufmerksamkeit auf ihn richtet. Egal, was er sagt.
Schulz hört in Königs-Wusterhausen nicht nur der Geschäftsleitung zu. Es kommen auch junge Mitarbeiter der Firma zu Wort. Es geht um die Ausbildung und die Perspektiven bei der Arbeit. Schulz ist ein Spitzenpolitiker ohne Abitur, der Buchhändler gelernt hat. Sein Interesse am Arbeits- und Lebensalltag wirkt für seine Gesprächspartner sehr authentisch. "Das war ein sehr positives Gespräch", sagt der 21-jährige Logistiker Adrian Schröder danach. Sein Kollege im Warenlager, Sebastian Schulz, hat sich über die Tipps des SPD-Politikers für ein Studium nach der Meisterprüfung gefreut: "Das war doch sehr interessant und im Kontakt irgendwie ganz auf Augenhöhe."
Martin Schulz ganz nah dran an den Arbeitnehmern
Die Geschäftsführung mahnt den künftigen Kanzlerkandidaten der SPD noch, nicht zu heftig an befristeten Arbeitsverträgen zu rütteln - Schulz hatte kürzlich diese Art der Beschäftigungsverhältnisse in Frage gestellt - und bittet dann zum Betriebsrundgang. In einem der drei langgestreckten Betriebsgebäude werden aus Lederbahnen die Einlagen gestanzt.
Schulz macht Station bei einer Stanze, beugt sich über die Arbeitsfläche. Die Frau dahinter gibt ihm ein Lederstück, er riecht daran. Alles ist wichtig und ernst für ihn. Die Menschen um ihn herum bekommen das mit. Aufregende politische Inhalte, ein Programm - das gibt es sieben Monate vor der Bundestagswahl von der SPD noch nicht. Solange ist Schulz selbst mit seiner Aufgeschlossenheit die Botschaft.
Der SPD-Mann geht weiter zur Stepperei, wo die Werkstücke vernäht und eingefasst werden. Petra Wilke hat Martin Schulz neben sich stehen und will ihren Arbeitsgang vorführen. Aber die Spule ist leer und das weiße Einfassband ist auch gerade alle. Schulz lächelt verständnisvoll - kein markiger Spruch, aber eine nette Nachfrage, dann geht er weiter.
"Das ist schon aufregend, aber das ist ja auch nur ein ganz normaler Mensch", meint Wilke danach. Schulz ist auch bei ihr gut rüber gekommen. Wäre er ein guter Kandidat für sie? Petra Wilke legt den Kopf schief und meint, dass sie schon seit Jahren nicht mehr wählen geht. Aber es gibt einen Schulz-Effekt bei ihr: "Vielleicht sollte ich mir das mal überlegen."