Mehr Arme in Deutschland
19. Februar 2015"Zerklüftete Republik" - so betitelt der Paritätische Wohlfahrtsverband seinen Armutsbericht in diesem Jahr. "Noch nie war die Armut in der Bundesrepublik Deutschland so hoch", fasst Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Verbands, die Ergebnisse zusammen. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2013, damals lebten laut dem Bericht 15,5 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Im Vorjahr waren es 15 Prozent. Die Zahlen seien seit 2006 kontinuierlich angestiegen.
Der paritätische Wohfahrtsverband ist ein Zusammenschluss verschiedener sozialer Organisationen und veröffentlicht seit zwanzig Jahren einmal im Jahr neue Zahlen zur Entwicklung der Armut in Deutschland. Der jüngste Bericht warnt insbesondere vor einem Auseinanderdriften der Regionen. In den ärmsten Ländern - etwa Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern - läge der Anteil der Armen an der Bevölkerung über 20 Prozent, während im reichen Bayern nur 11 Prozent der Bevölkerung als arm gelten.
"Bundesregierung widerlegt"
Die Bundesregierung hatte in ihren letzten Armutsberichten von einer Trendwende gesprochen. Die Kluft zwischen dem ärmsten und dem reichsten Teil der Bevölkerung sei zuletzt nicht mehr weiter gewachsen, stellte die damalige Koalition aus Konservativen und Liberalen 2013 fest. Diese Aussage hält Ulrich Schneider mit dem Bericht für "klar und eindeutig widerlegt."
Als arm gilt laut dem Verband, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat. Das größte Armutsrisiko haben nach wie vor Alleinerziehende und Menschen mit geringer Bildung. So leben 43 Prozent der Alleinerziehenden - meist Mütter - in Armut. Davon hat wiederum die Hälfte keinen Bildungsabschluss. Beide Gruppen gelten seit Jahren als stark armutsgefährdet. 2013 habe der Verband aber erstmals auch eine neue Gruppe mit hohem Armutsrisiko in den Statistiken entdeckt, sagt Schneider. Besonders stark habe demnach die Zahl der Armen unter Rentnern zugenommen - insbesondere in Ostdeutschland. "Dort kommen jetzt diejenigen ins Rentenalter, die nach der Wende überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen waren", erläutert Schneider. Sie hätten über viele Jahre nicht in die Rentenkasse eingezahlt.
Der Verband fordert eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze um etwa 100 Euro. Bisher haben Sozialhilfeempfänger Anspruch auf 399 Euro im Monat plus Mietkosten. Zur Finanzierung dieser Kosten fordert Schneider, die Steuern auf große Einkommen und Vermögen zu erhöhen. Insgesamt müsse Deutschland 15 Milliarden Euro in die direkte Armutsbekämpfung stecken - also die Erhöhung der Grundsicherung, die Aufstockung von Renten und die Schaffung staatlicher Jobs. "Wenn wir das unterlassen, wird Deutschland armutspolitisch vor die Wand gefahren", warnt er.