Ländliche Entwicklung
16. Februar 2012EU-Agrarexportsubventionen abschaffen, Frauen und Bildungsprojekte fördern, sicheren Zugang zu Land ermöglichen und das Menschenrecht auf Nahrung in den Mittelpunkt der Zusammenarbeit stellen: Seit Jahrzehnten setzen sich Nichtregierungsorganisationen dafür ein, diese Ziele in der Entwicklungszusammenarbeit zu verankern.
Jetzt hat das Bundsministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) diese Ansätze in den Mittelpunkt eines neuen Zehn-Punkte-Programms zur ländlichen Entwicklung und Ernährungssicherung gestellt. Darin wird der Erkenntnis Rechnung getragen, dass man den Hunger in der Welt nur effektiv bekämpfen kann, wenn man die regionale Produktion von Lebensmitteln konsequent fördert und Kleinbauern konkurrenzfähig macht. Dazu setzt das BMZ unter anderem auf berufliche Qualifizierung von Bauern, Zugang zu Krediten und Saatgut sowie Programme zur gesunden Ernährung - speziell für Mütter und Kleinkinder.
Wolfgang Jamann, der Vorstandsvorsitzende der Welthungerhilfe, begrüßt diesen “multidimensionalen Ansatz“ als einen Schritt in die richtige Richtung. Gegenüber der DW lobt Jamann besonders, dass die Frage des Menschenrechts auf Nahrung in dem Papier der BMZ thematisiert wird. Dazu gehöre auch, "dass man sich gegen Menschen gemachte Hindernisse wehrt wie das 'land grabbing' in großen Teilen Afrikas.“ So will das BMZ die Partnerländer künftig bei der Erarbeitung von Landnutzungsplänen beraten.
Ausverkauf in Afrika
Für den Agrarexperten Roman Herre von der Menschenrechtsorganisation FIAN ist der Ansatz des BMZ allerdings "noch nicht weitreichend genug. Er stellt nicht die politisch zentrale Frage nach der Landkonzentration. Der Zugang zu Land wird zunehmend umverteilt von arm zu reich“, fasst Herre die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zusammen.
Unterschiedlichen Schätzungen zufolge wurden von 2006 bis 2009 zwischen 22 und 50 Millionen Hektar Ackerland in Afrika, Asien und Lateinamerika an ausländische Investoren verkauft oder auf Jahrzehnte verpachtet. Zum Vergleich: Die gesamte Agrarfläche in der EU beläuft sich auf 97 Millionen Hektar.
Zu den Hauptinvestoren zählen die Golfstaaten, Südkorea und China. Sie lassen Weizen, Zucker oder Soja für die einheimische Bevölkerung im Ausland anbauen. Investoren aus Industrienationen sind dagegen vor allem an der Produktion von Energiepflanzen für Biokraftstoffe interessiert. Durch die Verdrängung oder gar Vertreibung von Kleinbauern verlieren nicht nur die unmittelbar betroffenen Familien ihre Existenzgrundlage. Auch die Versorgung der einheimischen Märkte mit Nahrungsmitteln ist bedroht, wenn Reis- oder Gemüsebauern durch Jatropha- oder Zuckerrohplantagen internationaler Konzerne verdrängt werden.
Subventionen, Förderung oder Schutzzölle?
Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit in den Ländern des Südens werden darüber hinaus auch durch Billigexporte aus dem Norden bedroht. Die Überproduktion von Geflügel- und Schweinefleisch, Milchpulver und Tomatenpaste wurde bisher in der EU mit bis zu zehn Milliarden Euro pro Jahr subventioniert, damit sie billig auf afrikanischen Märkten verkauft werden konnte. Einheimische Bauern konnten mit den Dumpingpreisen nicht mithalten und mussten mit ansehen, wie ihre Ernte auf dem Feld verrottete. Das BMZ will sich jetzt für die Abschaffung der EU-Agrarexportsubventionen einsetzen "weil sie für die Entwicklung der Landwirtschaft in unseren Partnerländern schädlich sind", heißt es in dem neuen Programm.
Problem erkannt – Problem gebannt? Diese Rechnung geht nicht auf, sagt Roman Herre von FIAN. Die Abschaffung der Exportsubventionen allein reiche nicht aus, um die ungleichen Wettbewerbsbedingungen im Welthandel gerade zu rücken: "Die OECD-Länder unterstützen ihre Landwirtschaft mit etwa 400 Milliarden US-Dollar jährlich, die Entwicklungsländer nur mit acht Milliarden. Da treffen also sehr unterschiedliche landwirtschaftliche Produktionsbedingungen aufeinander. So gesehen findet der Export von Billigprodukten weiterhin statt, auch ohne direkte Exportsubventionen.“ Roman Herre hält Schutzzölle für besonders sensible Agrarbereiche daher durchaus für sinnvoll, wenn es darum geht "Kleinbauern vor Billigprodukten aus Europa zu schützen."
Genau die will die EU aber durch die sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen abbauen. Offiziell sollen diese Handelsverträge mit Staaten in Afrika, Asien und dem pazifischen Raum zur wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder beitragen. "Das Gegenteil ist der Fall", kritisiert die Entwicklungsorganisation Oxfam und bezeichnet diese Verträge als "Freihandelsabkommen, von denen vor allem europäische Exporteure profitieren würden." Die Partnerländer müssen sich verpflichten, die Importzölle für 80 Prozent der Einfuhren aus der EU in den kommenden Jahren komplett zu streichen.
Nord-Süd Gefälle
Vor diesem Hintergrund fordert Romane Herre von FIAN einen "noch stärkeren Menschenrechtsansatz bei der Frage der Armuts- und Hungerbekämpfung“. Im Mittelpunkt der Entwicklungspolitik müsse die direkte Hilfe für die ärmsten Bevölkerungsgruppen stehen.
Strategien wie die "Förderung von privatwirtschaftlichen Initiativen" und die "Umsetzung der Ergebnisse internationaler Agrarforschung in der landwirtschaftlichen Praxis der Partnerländer" seien kaum geeignet, um der armen ländlichen Bevölkerung zu helfen.
Auch Wolfgang Jamann von der Welthungerhilfe kritisiert das "Nord-Süd-Gefälle" des Hilfsprogramms: "Es fehlt die Betonung des Gedankens der Hilfe zur Selbsthilfe. Dazu gehört nicht nur die Stärkung von Kleinbauern und ihrem traditionellen Wissen, oder die Möglichkeit, sich vor Ort in Kooperativen zusammenzuschließen. Auch lokale Forschungsergebnisse müssen berücksichtigt werden."
Die Halbierung von Armut und Hunger kann nur gelingen, so Jamanns Fazit, wenn auch innerhalb der Schwellen- und Entwicklungsländer ein sozialer Ausgleich gelingt und alle Bevölkerungsgruppen von wirtschaftlichem Fortschritt profitieren. Dazu leiste das BMZ-Papier immerhin einen wichtigen Denkanstoß.
Autorin: Mirjam Gehrke
Redaktion: Thomas Kohlmann