Mehr reguläre Jobs - und mehr "atypische"
16. August 2017Jeder fünfte Erwerbstätige in Deutschland ist "atypisch beschäftigt". Darunter versteht das Statistische Bundesamt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die geringfügig oder befristet beschäftigt sind oder in Teilzeit bis zu 20 Wochenstunden - das aber als Haupttätigkeit. Nach den jetzt für 2016 vorgelegten Zahlen ist der Anteil dieser Gruppe seit drei Jahren fast unverändert bei knapp 21 Prozent. 7,7 Millionen Menschen zählten im vergangenen Jahr dazu, das waren zwar 121.000 Menschen mehr als 2015. Aber insgesamt gesehen blieb ihr Anteil konstant. Denn auch in "normalen" Arbeitsverhältnissen arbeiteten mehr Menschen: 25,6 Millionen waren das im vergangenen Jahr und damit 808.000 mehr.
Keine Verdrängung "normaler" Jobs
Das sei eine gute Entwicklung, meint Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft. Es gebe also mehr Jobs. Insgesamt hätten die "atypischen" Arbeitsverhältnisse nicht dazu geführt, dass "normale" Jobs verdrängt würden. Grundsätzlich kann man atypische Beschäftigung nicht mit prekärer Beschäftigung gleichsetzen. Es kommt auf die Art des Arbeitsverhältnisses an. "Bei Teilzeitarbeit gibt es wenig prekäre Beschäftigung", erklärt Werner Eichhorst vom Institut für die Zukunft der Arbeit. Auch hier müsse man jedoch nach Berufen oder Gruppen unterscheiden. Denn die Qualität der Arbeitsplätze sei sehr unterschiedlich.
Auch die Gruppe der befristet Beschäftigten zählt nicht unbedingt zum Prekariat: Oft nehmen Berufseinsteiger zunächst einen befristeten Job an: "Um ihr berufliches Fortkommen und die Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis müssen sie sich aber nicht so große Sorgen machen", glaubt EIchhorst. Auch Zeitarbeitsjobs fallen unter die atypischen Beschäftigungen. Das stört die Zeitarbeitsbranche: Schließlich sei Zeitarbeit "feste, sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung", moniert der Interessenverband Zeitarbeit. Und aus der Zeitarbeit böten sich auch Eintrittschancen in den Arbeitsmarkt.
Erwerbsarmut als Langzeitfolge
Anders jedoch ist das bei den Teilzeitbeschäftigten, die bis zu 20 Stunden arbeiten und den geringfügig Beschäftigten. "Dadurch wird auf Dauer doch die berufliche Entwicklung und eingeschränkt", glaubt Arbeitsmarktexperte Eichhorst. Und das hat Langzeitfolgen: Denn auch im Alter sind diese Arbeitnehmer häufig nur schlecht abgesichert. Während es aber auch bei Teilzeit unterschiedliche Qualifikationen gibt, sind die Jobs im Bereich der geringfügigen Beschäftigung häufig unterwertig, erfordern also nur geringe Qualifikation und sind entsprechend gering bezahlt.
Diese Gruppe dürfte auch am stärksten von "Erwerbsarmut" getroffen sein: So zeigt eine aktuelle Studie des gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Instituts, dass mehr Arbeit keine Garantie für weniger Armut sei - "zumindest dann nicht, wenn die neuen Jobs nicht angemessen entlohnt werden oder die Stundenzahl gering" sei, so wie häufig im Dienstleistungsbereich und im Niedriglohnsektor. Der sei durch weitgehende Deregulierungen des Arbeitsmarktes, die Kürzung von Transferleistungen und verschärfte Zumutbarkeitsregelungen beschleunigt worden. Wenn aber Arbeitslose gezwungen würden, schnell eine Arbeit zu finden und diese dann einen Job mit schlechter Bezahlung und niedrigem Stundenlohn annähmen, könne das dazu führen, dass die Erwerbsarmut steige, weil aus arbeitslosen armen Haushalten erwerbstätige arme Haushalte werden, schreiben die Wissenschaftler der Hans-Böckler-Stiftung in ihrer Studie.
Bildung, Bildung, Bildung
Der mittelfristige Ausweg aus ihrer Sicht: In Bildung und Ausbildung investieren. Kurzfristig aber hat zumindest die Einführung des Mindestlohns schon etwas geholfen. Das zeigt sich im Bereich der Minijobs oder geringfügigen Beschäftigung: An die Beschäftigten würden zwar höhere Anforderungen gestellt, damit sie Mindestlohn erhalten können. Aber den größten Rückgang (von 6,5 auf 5,9 Prozent) habe es eben in genau diesem Bereich gegeben, erklärt Werner Eichhorst vom IZA. Immer jedoch gilt es, sich die persönliche Lebenssituation der Beschäftigten anzusehen: Wer einen großen Haushalt mit seinem Verdienst ernähren muss, benötigt grundsätzlich mehr Geld als einer, der vielleicht nur vorübergehend, etwa aus familiären Gründen, etwas kürzer tritt, der Partner aber in Vollzeit arbeitet.