Auf den ersten Blick hat US-Präsident Joe Biden seinem russischen Gegenüber Wladimir Putin einen schweren Schlag versetzt. Es hat den Anschein, als hüben die neuen Sanktionen aus Washington die Konfrontation mit Moskau auf ein neues Level. Nicht nur haben die USA zehn russische Diplomaten des Landes verwiesen - auch verhängten sie Strafmaßnahmen gegen eine ganze Reihe von Personen und Organisationen, die dem Kreml nahe stehen sollen. Zudem untersagte das Finanzministerium in Washington US-Banken, ab Mitte Juni gewisse russische Staatsanleihen zu kaufen.
Biden konnte nicht länger warten
Nicht einmal 24 Stunden zuvor hatte Biden Putin in einem Telefongespräch noch ein gemeinsames Treffen vorgeschlagen. Auf den ersten Blick dürften die neuen Sanktionen alle Hoffnungen auf ein solches Gipfeltreffen zunichte gemacht haben. Die Vorbereitungen für solche Gipfel erfordern eigentlich eine gewisse Zurückhaltung auf beiden Seiten.
Biden ist schon mehrfach dafür kritisiert worden, dass er den Kreml bislang noch nicht für die russische Einmischung in den US-Präsidentschaftswahlkampf 2020 sowie für massive russische Cyberattacken in diesem Zeitraum zur Rechenschaft gezogen hat. Auch vor dem Hintergrund sich verschärfender Spannungen in der Ostukraine konnte Biden nicht länger tatenlos bleiben. Er entschied sich erst einmal für relativ zurückhaltende Strafmaßnahmen - möglicherweise informierte er Putin sogar vorab darüber.
Dass die New York Times - einer der Hauptkanäle, den die US-Demokraten zum Durchstechen von Informationen nutzen - schon vorab recht detaillierte Einzelheiten über die zu erwartenden Sanktionen veröffentlichte, dürfte diese Vermutung indirekt bestätigen. Wer einen Überraschungsangriff starten will, informiert nicht vorher seine Lieblingszeitung darüber.
US-amerikanisches Damoklesschwert?
Die einzige wirklich unerfreuliche Sache für den Kreml ist, dass laut Sanktionstext Biden und seine Nachfolger im Weißen Haus ab sofort Sanktionen gegen jeden Schritt des Kremls verhängen können, den sie als feindlich einstufen. Das beinhaltet die Möglichkeit von Sanktionen gegen jede Firma und jede Einzelperson, bei der eine Verbindung zum Kreml vermutet wird, bis hin zur engsten Familie von Mitgliedern von Russlands herrschender Elite. All das ginge nun auch ohne Zustimmung des US-Kongresses.
Ein westlicher Finanzanalyst beschrieb mir das als "neues US-amerikanisches Damoklesschwert über Putin - fünfmal größer und fünfmal so scharf wie das vorherige". Diese neuen Sanktionen richten nicht so viel unmittelbaren Schaden an. Aber sie ziehen die roten Linien für die Zukunft. Joe Biden hat zuerst geblinzelt - jetzt ist es an Putin, darauf zu antworten.
Respektiert Putin die roten Linien?
Als Antwort auf die US-Sanktionen hat auch Russland angekündigt, US-Diplomaten auszuweisen und bereits mehrere Einreisesperren ausgesprochen. Außenminister Sergej Lawrow sagte, dass Russland zudem die Arbeit bestimmter US-Organisationen und -Stiftungen einschränken werde. Im Raum steht auch eine mögliche komplette Schließung des eh schon nur noch eingeschränkt arbeitsfähigen Moskau-Büros des russischsprachigen US-Senders Radio Svoboda (Radio Liberty). Doch den Hauptteil seiner Antwort wird sich der russische Präsident für den 21. April aufsparen - dann gibt er seine jährliche Ansprache vor beiden Kammern des russischen Parlaments. Die fortgesetzte anti-ukrainische Hysterie in den russischen Staatsmedien ist jedenfalls bislang kein Anzeichen dafür, dass Putin wirklich nachgeben könnte.
Aber wenn die US-Regierung tatsächlich eine Art "Stabilitätspakt" mit dem Putin-Regime ausarbeiten will und dies durch die Androhung neuer harter Sanktionen absichern kann, läge eine solche "Verständigung" dennoch im Bereich des Möglichen. Der Vorteil für Biden wäre, dass er dann hoffen kann, sich seinen dringlicheren außenpolitischen Themen wie China sowie seiner umfangreichen innenpolitischen Agenda zuwenden zu können. Die beiden Staatsoberhäupter würden dann das Gipfeltreffen abhalten, das Biden Putin vorgeschlagen hat, und andere Themen besprechen, wie den neuen START-Vertrag und die Erneuerung des Iran-Atomabkommens.
Das Problem ist, dass solche Vereinbarungen mit dem Kreml notorisch fragil sind - und zu einem Großteil auch davon abhängen wie Wladimir Putin die Stärken und Schwächen seiner Gegner einschätzt.