Nein, die Ereignisse vom 6. Januar waren kein Ausrutscher. Sie waren auch kein Zufall. Sie waren die zwangsläufige Konsequenz einer vierjährigen Präsidentschaft, die auf Wut statt Wahrheit setzte und die politische Haltung der Anhänger in Hass auf "das Andere" verkehren konnte.
Donald Trump trägt die Verantwortung
Ich war vor Ort und habe mit meinen eigenen Augen und Ohren erlebt, wie die Rede von Donald Trump an diesem kalten Januartag die überwiegend friedlichen Demonstrierenden in einen wütenden Mob verwandelte. Es besteht überhaupt gar kein Zweifel, dass der Präsident die Menschen aufgefordert hat, das Kapitol zu stürmen. Wie sonst sollten Sätze wie dieser verstanden werden: "Man wird unser Land niemals mit Schwäche zurückerobern, man muss Stärke zeigen und man muss stark sein". Er rief sie der Masse zu - verbunden mit der Aufforderung, in Richtung Kapitol zu marschieren.
Ich habe mit den Menschen gesprochen, die aus dem ganzen Land in die Hauptstadt gekommen waren, um gegen das angeblich "gestohlene" Wahlergebnis zu protestieren. Die Mehrheit waren Durchschnitts-Amerikanerinnen und Amerikaner. Die wirklich davon überzeugt sind, dass der eigentliche Sieger der Präsidentschaftswahl Donald Trump heißt. Infiltriert von seinen Lügen. Gefangen in ihren Social-Media-Blasen. Angefeuert auch von jenen republikanischen Spitzenpolitikern, die völlig verantwortungslos an diesem gefährlichen Lügengebäude mitbauten. Und die ihren Eid, die Verfassung zu respektieren, der persönlichen Machtgier geopfert haben.
Republikaner müssen sich besinnen
Und genau weil es nicht nur eine Handvoll Spinner ist, müssen die Demokraten alles tun, um zu verhindern, dass der noch amtierende Präsident ein weiteres Mal zu einer Wahl antreten kann. Donald Trump hat Blut an seinen Händen. Menschen sind beim Sturm auf das Kapitol gestorben. Das allein ist Grund genug, ein zweites Amtsenthebungsverfahren anzustreben. Aber noch viel wichtiger ist es, die entsprechenden Mehrheiten im Kongress zu organisieren, um einen Erlass zu verabschieden, der sicherstellt, dass Donald Trump nie wieder für ein öffentliches Amt kandidieren darf. Dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit, die nur zustande kommt, wenn sich knapp 20 Republikaner endlich besinnen.
Es sind schwere Entscheidungen, die die Demokraten in den kommenden Tagen zu treffen haben. Streben sie das Verfahren sofort an, riskieren sie, dass die ersten Wochen der Präsidentschaft von Joe Biden von der Diskussion über Donald Trumps Zukunft überschattet werden. Manche plädieren deshalb dafür zu warten, bis sich die neue Regierung etabliert hat und überlebenswichtige Schritte im Kampf gegen die COVID-Katastrophe gegangen werden konnten. Zwischen drei- und viertausend Menschen sterben täglich an dem Virus in den USA. Auch wenn es das noch nie gab, das Verfahren gegen Donald Trump könnte auch noch Wochen nach der Amtsübergabe eingeleitet werden.
Es mag sein, dass sich durch diese Schritte viele Trump-Anhänger darin bestätigt werden fühlen, dass das politische System in den Vereinigten Staaten "unterwandert" ist. Das aber muss in Kauf genommen werden.
Die republikanische Partei hat wieder und wieder den Beweis geliefert, dass sie Donald Trumps Machtspiel nicht gewachsen ist. Wenn er die Möglichkeit hat, in vier Jahren noch einmal zu kandidieren, wird er die Republikaner weiter in Geiselhaft nehmen und vor sich hertreiben. Und nicht nur das. 73 Millionen Menschen haben 2020 Donald Trump ihre Stimme gegeben. Es ist durchaus möglich, dass es 2024 einige Millionen mehr sind, wenn er weiter daran arbeiten kann, die Realität in eine Trump-Show umzudeuten - mit der Aussicht, ins Weiße Haus zurückzukehren.
Es muss allen politisch Verantwortlichen deutlich gemacht werden, dass die Verbreitung von Lügen und das Schüren von Hass Konsequenzen hat - und politische Karrieren sofort beendet. Der Sturm auf das Kapitol war nur ein erster Vorgeschmack auf das, was noch kommen kann.