Meinung: Migration als Win-Win-Situation
Der Weltflüchtlingstag am 20. Juni sollte die Regierungen in europäischen und afrikanischen Staaten an eines erinnern: Sie müssen ernsthaft zusammenarbeiten, um die Herausforderungen der benachbarten Kontinente im Bereich Flucht und Migration anzupacken.
In vielen europäischen Medien wird das immer gleiche Bild reproduziert: Das der vielen jungen Afrikanerinnen und Afrikaner, die nach Europa kommen wollen und in ihrer Verzweiflung sogar ihr Leben aufs Spiel setzen. Das ist sehr einseitig - und nährt ein Zerrbild, wonach die gesamte Jugend Afrikas sich auf solche gefährlichen Reisen begeben wolle.
In der Realität sind es die wenigsten afrikanischen Flüchtlinge, die diesen Weg wählen. Tatsächlich endet die Flucht für die meisten im jeweiligen Nachbarland - und nicht etwa in Europa.
Andere Perspektiven für den Umgang mit Geflüchteten
Davon abgesehen arbeiten einige europäische und afrikanische Regierungen bereits zusammen, um Flucht- und Migrationsprobleme zu lösen. Doch die Fortschritte sind begrenzt. Das liegt vor allem daran, dass die beiden Kontinente verschiedene Perspektiven und Prioritäten mit dieser Herausforderung verbinden.
Einerseits betrachten die Europäische Union und ihrer Mitgliedsstaaten die Verringerung der Flüchtlingszahlen auch als Mittel, Sicherheitsbedrohungen zu entschärfen. Auf dem Weg zu dieser Erkenntnis wurden viele europäische Gelder dafür verwandt, Migrationsrouten nach Europa trockenzulegen. Europa hat sogar afrikanische Diktatoren umgarnt, um deren Mithilfe gegen Migration zu sichern.
Andererseits haben die afrikanischen Regierungen ein Interesse daran, dass die Ausgewanderten Geld in die Heimat schicken - sogenannte Rücküberweisungen. Auch legale Migrationswege wären in ihrem Sinne. Die europäische Strategie zur Migrationsvermeidung hat jedoch unter afrikanischen Regierenden Misstrauen gesät.
Corona und die Folgen
Derzeit hält die Corona-Pandemie die Welt in Atem. In der EU und anderen westlichen Staaten wird geimpft, was das Zeug hält. Als Folge gehen Infektions- und Todeszahlen zurück, und das Leben kehrt allmählich zur Normalität zurück.
Viele afrikanische Staaten waren bislang noch nicht so heftig von der Pandemie betroffen, und dennoch sind die wirtschaftlichen Folgen fatal: Rohstoffpreise sind gefallen, Importe hingegen teurer geworden. Zudem sind für afrikanische Staaten wichtige Einnahmen aus dem Tourismus und über Rücküberweisungen eingebrochen.
Solche negativen wirtschaftlichen Folgen dürften auf kurz oder lang zu neuen Migrationsbewegungen führen: Wirtschaftsflüchtlinge könnten sich nach Europa und natürlich in ihre afrikanischen Nachbarländer aufmachen.
Zusammenarbeit auf Augenhöhe
Mit Blick auf die denkbaren negativen Nachwirkungen der Pandemie ist es höchste Zeit, dass Europa und Afrika ernsthaft zusammenarbeiten, um Afrikanerinnen und Afrikaner von gefährlichen und vielleicht tödlichen Reisen nach Europa abzuhalten.
Europa sollte mehr zuhören und afrikanische Perspektiven ernst nehmen. Afrikanische Regierungen fordern seit langem einfachere Regeln für Rücküberweisungen und mehr legale Migrationswege. Rücküberweisungen haben sich als sehr hilfreich für afrikanische Länder erwiesen und die Wirkung von Entwicklungshilfen anderer Staaten übertroffen. Tatsächlich sollte dieser Fakt auch den Europäern zu denken geben, weil das Geld, das Migranten nach Hause an ihre Familien schicken und deren wirtschaftliche Lage verbessert, ebenfalls die Notwendigkeit zur Armutsmigration verringert.
Den größten Teil ihres Einkommens, so sie denn arbeiten dürfen, würden Migranten jedoch in Europa ausgeben. Legale Migrationswege, gepaart mit innovativen Ausbildungsprogrammen, werden am Ende also auch europäischen Ländern helfen - zumal die Bevölkerung Europas schrumpft, während es sehr viele junge Menschen in Afrika gibt. Damit beide Kontinente gleichermaßen von den Folgen von Migration profitieren können, müssen afrikanische und europäische Staaten auf Augenhöhe zusammenarbeiten.
Adaptiert aus dem Englischen von David Ehl.