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PolitikEuropa

Solidarität für jeden - nicht nur für Weiße

Deutschland Berlin | DW Journalistin | Wafaa Albadry
Wafaa Albadry
6. März 2022

Die Solidarität mit Flüchtenden aus der Ukraine ist beeindruckend. Doch leider erstreckt sie sich nicht auf Menschen aus Afrika und Asien, die aus der Ukraine fliehen. Das ist Rassismus, kritisiert Wafaa Albadry.

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Zwei junge Afrikaner umarmen sich, nachdem sie es aus der Ukraine nach Rumänien geschafft haben. Im Hintergrund eine lange Autoschlange
Die Ukraine war Gastland für mehrere Tausend Studenten aus Afrika. Auch sie suchen nun Hilfe und SchutzBild: ROBERT GHEMENT/EPA-EFE

Die völkerrechtswidrige russische Invasion in der Ukraine bedroht das Leben von Millionen Menschen. Nach Schätzungen der IOM sind inzwischen rund 1,5 Millionen Menschen in die Nachbarländer geflohen, weitere Hunderttausende sind in bisher von Kämpfen verschonte innerukrainische Gebiete gezogen. Ukrainische Männer, die nicht mehr ausreisen dürfen, wurden von ihren Familien getrennt, bleiben aber vielfach freiwillig im Land, um zu kämpfen. Frauen und Kinder sind auf der Flucht meist allein.

Es wird oft gesagt, der Krieg bringe sowohl das Beste als auch das Schlimmste im Menschen hervor. In dieser Krise öffnen die benachbarten und nahe gelegenen Länder ihre Grenzen, die Menschen ihre Häuser und sogar ihre Herzen, um denjenigen zu helfen, die vor der Gewalt fliehen. Hilfsorganisationen, Politiker und zahllose einfache Menschen auf der ganzen Welt zeigen sich solidarisch - das ist wunderbar.

Kein Willkommen für Menschen aus Afrika

Aber es gibt auch eine andere Seite des Geschehens. Vielen Menschen aus Afrika, Indien, dem Nahen Osten und anderen Regionen, die in der Ukraine gelebt, studiert oder gearbeitet haben, wird der Willkommensgruß verweigert, der den Ukrainern zuteil wird. Da wurde der Zugang zu Zügen oder Bussen verweigert, welche die Flüchtlinge aus der Ukraine in Sicherheit bringen. Es seien nur Ukrainer zugelassen, sagte man ihnen. Und wenn sie dann zu Fuß an der Grenze ankamen, wurden sie an einigen polnischen Grenzposten zurückgedrängt.

Deutschland Berlin | DW Journalistin | Wafaa Albadry
DW-Redakteurin Wafaa AlbadryBild: S. Overdhal

Sie sind genauso in Gefahr und verängstigt wie alle anderen Menschen in der Ukraine. Welche Art von Solidarität soll das sein, wenn diese Menschen von der Hilfe ausgeschlossen werden? Internationale Studenten, die Nächte in der Nähe der polnischen Grenze verbracht haben, berichten, dass ihnen auch Lebensmittel und Trinkwasser verwehrt wurde, die an diejenigen verteilt wurden, die auf die Ausreise warteten.

Über 76.000 internationale Studenten studieren in der Ukraine, und jeweils mehr als 25 Prozent kommen zum einen aus Indien und zum anderen aus afrikanischen Ländern, darunter Nigeria, Marokko und Ägypten. Darüber hinaus gibt es auch Arbeitskräfte aus diesen Regionen.

Die Familien dieser Menschen sind besorgt: Selbst wenn sie aus den umkämpften Gebieten entkommen, können sie überleben? So ist vielfach ein noch schrecklicheres Bild entstanden von dem, was dort geschieht: Für diejenigen, die nicht weiß sind, ist es Krieg UND Rassismus.

Nicht zivilisiert genug, um gerettet zu werden?

In den Sozialen Medien verbreiteten sich Videos von Afrikanern, die um Hilfe baten und die Diskriminierungen zeigten, denen sie ausgesetzt waren. Von Sicherheitskräften, die ihre Waffen auf Studenten richteten, obwohl die beteuerten, sie seien unbewaffnet. Bis hin zu einem Video, das ein Kleinkind zeigt, das in der Kälte zurückgelassen wurde. Und denen, die diese schlimmen Nachrichten teilten, schlug Hass im Netz entgegen.

Zahllose Leute posteten blanken Unsinn und beschuldigten Menschen aus Afrika und Asien, nicht "zivilisiert" genug zu sein, um gerettet zu werden - weiße Menschen hätten Vorrang. Schwarze und andere People of Color wurden aufgefordert in der Ukraine zu bleiben und zu kämpfen - als hätten tatsächlich diese Leute das Recht zu entscheiden, wer fliehen darf und wer in den Krieg ziehen muss.

All das ist ungeheuerlich - und es ist unverhohlener Rassismus. Dass Empathie von der Hautfarbe eines Menschen abhängt, ist inakzeptabel. Und es ist eine Schande, dass dies in Kriegszeiten geschieht.

Wenn alle vor der gleichen Gefahr fliehen, sollten dann nicht alle die gleiche Behandlung erfahren? Ist dies ein alarmierendes Zeichen für das Ausmaß der Diskriminierung in Europa? Ich kenne die Antwort nicht. Aber ich weiß, dass inmitten eines solchen Chaos' immer nur einige wenige Personen mit Autorität entscheiden, wer wie behandelt wird. Und für einige von ihnen gilt Menschlichkeit offenbar nicht gegenüber allen.

Menschlichkeit kann nicht selektiv sein

Die Misere entstand innerhalb einer Woche, und sie hält immer noch an. All die Szenen, die wir online gesehen haben, mahnen uns, dass Menschen sich gegenseitig unterstützen und mit Würde behandeln müssen. Und vergessen wir nicht: Auch Schwarze Leben zählen! Menschlichkeit und Solidarität müssen allumfassend und dürfen nicht selektiv sein.

Die EU-Regierungen haben ihre Solidarität mit den Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, deutlich gezeigt. Jetzt ist es an der Zeit, dass diese Solidarität auch vor Ort gelebt wird. Es wäre ein Scheitern für die Menschheit, wenn jemand zurückgelassen würde. Wenn Menschen, die vor dem Krieg mitten in Europa fliehen, aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihres Herkunftslandes ohne Hilfe in der Ukraine oder an den Grenzen zurückbleiben, dann hat die zivilisierte Welt beim der Beweis ihrer Solidarität versagt.