Mensch und Maschine im Übersetzungsduell
30. September 2019Ein kleines Männchen, das in unserem Ohr sitzt und dank dem wir jede Sprache verstehen, es uns quasi ad hoc die Übersetzung zuflüstert. Oh, was wäre das schön, stimmt's?
Das gibt es! Theoretisch zumindest. Tatsächlich bieten einige Hersteller genau solche Produkte bzw. solch einen Service an, zum Beispiel Google's "Pixel Buds", "Pilot" von Waverly Labs oder Bragi's "The Dash".
Trotzdem ist es vielleicht (noch) keine gute Idee, sich heute schon blind auf den Knopf im Ohr zu verlassen. Denn wenn man sich die Tests und Kritiken dazu genauer ansieht, gibt es noch Optimierungspotenzial.
Doch gemessen an den Fortschritten, die Übersetzungssoftwares im Allgemeinen in den letzten Jahren gemacht haben, dürfte die Alltagstauglichkeit der Gadgets nur eine Frage der Zeit sein. Oder?
Der Bedarf an Übersetzungen ist schließlich da. Der Einsatzbereich von Übersetzern, Dolmetschern, Fremdsprachenkorrespondenten und Co. ist schier unendlich: Jedes internationale politische Treffen, jeder Klimagipfel, jedes große Wirtschaftsforum und jeder Auslandsbesuch eines Politikers braucht Sprachendienstleister.
Auch im Wirtschaftsalltag finden wir Übersetzungen, von Expansionsanträgen für neue Standorte über Lieferverträge ins Ausland bis hin zu Bedienungsanleitungen oder Websites.
All diese Vorgänge zu automatisieren wäre doch nur ein logischer Fortschritt.
"Der qualitativ beste Übersetzer der Welt"
Maschinelle Übersetzungsdienste gibt es ebenfalls reichlich. Zu den bekanntesten gehören Google Translate und der Bing Translator von Microsoft. Die haben 2017 ernstzunehmende Konkurrenz von einem deutschen Startup bekommen: "DeepL ist der qualitativ beste Übersetzer der Welt", sagt DeepL-CEO Jaroslaw Kutylowski zurecht.
Sogenannte Blindtests haben das bestätigt. Dafür wurden 100 Sätze vom DeepL-Übersetzer, von Google, Microsoft und Facebook übersetzt. Danach beurteilen professionelle Übersetzer die Qualität des Textes.
Das Ergebnis: DeepL wurde dreimal häufiger als Google als beste Übersetzung ausgezeichnet, weil die Übersetzung natürlicher klang.
Der Dienst verwendet die sogenannte Deep Learning-Technologie, die auf einem künstlichen neuronalen Netzen basiert. Um das zu entwickeln, haben die Macher von DeepL einen ihrer bereits bestehenden Dienste genutzt: Das Online-Wörterbuch Linguee.
Der "große Bruder" stellt Milliarden von Übersetzungsmustern zur Verfügung und liefert damit optimales Trainingsmaterial. Wie genau die Technologie jedoch funktioniert, bleibt geheim. DeepL möchte den Titel des besten Übersetzungstools schließlich nicht einbüßen. Verständlich.
Übersetzer im Wandel
Goranka Miš-Čak ist die Gründerin und Geschäftsführerin des Sprachendienstleisters flexword aus Mannheim. Sie bezweifelt trotzdem, dass maschinelle Übersetzungen die menschliche Expertise einmal ablösen werden.
"Doch der Beruf ändert sich, das stimmt", sagt sie. Innerhalb der letzten 15 Jahre seien die Anforderungen enorm gestiegen: Übersetzungen müssen absolut einwandfrei, perfekt und immer schneller verfügbar sein.
"Sonst könnten die Kunden zu Recht auf Software zurückgreifen, wenn wir nicht den besseren und qualitativ hochwertigeren Service liefern", so Miš-Čak.
Das weiß auch DeepL-CEO Kutylowski. "All diese Übersetzungen, die Sie vorher einfach nicht in Auftrag gegeben hätten - weil Sie die Übersetzung eigentlich in zehn Sekunden brauchen - können Sie jetzt einfach an DeepL geben. Und Sie haben ein wirklich tolles Resultat binnen Sekunden verfügbar."
Das nächste Ziel sei es, nicht nur die Qualität zu steigern, sondern auch die Übersetzung näher an den Nutzer zu bringen. "Deswegen haben wir vor kurzem Windows und macOS-Apps rausgebracht, welche den Übersetzer viel stärker in die Systeme integrieren. Sodass Sie als Nutzer am Ende gar nicht so viel über Sprachen nachdenken müssen", so Kutylowski.
Auch für Goranka Miš-Čak hat sich der Arbeitsalltag mittlerweile geändert. Das unbeschriebene Blatt oder das leere Dokument am Computerbildschirm mache den kleinsten Teil aus, sagt sie.
"Ein Übersetzer muss in der Sprache zuhause sein, genauso gut muss er aber auch die Vielzahl von Tools beherrschen." Sowohl bestimmte Fachkenntnisse als auch der Umgang mit Terminologiedatenbanken, Serverstrukturen, digitalen Archive und Datenschutzkenntnisse gehören mittlerweile dazu.
Software als Unterstützung
Doch - und das mag vielleicht überraschen - auch Übersetzungstools sind ist in der professionellen Übersetzungsbranche nicht verpönt - im Gegenteil. Auch die Profis von flexword nutzen sogenannte Computer Assisted Translation Tools, kurz: CAT, aber auch professionelle Varianten von Google Translate oder DeepL, nämlich Machine Translation (MT) Engines, unter einer Prämisse: Die Umstände müssen stimmen.
"Bei standardisierten Texten, technischen Bedienungsanleitungen zum Beispiel, können solche MT-Tools durchaus sinnvoll sein", sagt Goranka Miš-Čak. "Nichtsdestotrotz be- und überarbeitet der sogenannte Post-Editor dann aber noch einmal diese Texte, damit diese absolut korrekt sind und jeder fachlichen Prüfung standhalten."
Doch sobald es um vertrauliche Daten gehe, zum Beispiel in Verträgen, oder um Texte, in denen es auf kleinste Nuancen, ankommt, "dann setzen wir nach wie vor auf humane Übersetzung - natürlich auch hier technologisch unterstützt durch Tools, die den Übersetzer bei der Qualitätssicherung unterstützen", versichert Miš-Čak.
Umfahren oder umfahren?
Mit gutem Grund. Bei Packungsbeilagen von Arzneimitteln sei dies zum Beispiel der Fall. "Hier kommt es auf jedes Wort, auf jede Ziffer an", sagt sie. Das gleiche gelte für viele Verträge und juristische Angelegenheiten. "Gerade bei hochkomplexen Sachverhalten, bei kulturellen Feinheiten, kann es ansonsten zu fatalen Sinnentstellungen kommen", weiß die Übersetzungsexpertin.
Ob wir etwas umfahren oder umfahren, macht in der Realität einen großen Unterschied. Der Übersetzungssoftware hingegen sei das in der Regel gleich, da der Computer den Kontext nicht verstehe, so die Übersetzungsexpertin, "Es gibt viele Fälle, in denen das Vertrauen auf maschinelle Tools fahrlässig wäre."
Doch darüber sind sich auch die Macher von DeepL im Klaren. "Wir haben natürlich noch viel vor in Bezug auf Qualität", sagt Kutylowski. "Aber auch die Effizienz der Nutzung steht im Vordergrund. Am Ende geht es darum, unseren Nutzern möglichst viel Aufwand abzunehmen - das geht sowohl durch Qualität aber auch eine bessere Integration in ihre Arbeitsabläufe."
Goranka Miš-Čak glaubt, dass die Nachfrage nach gut ausgebildeten Übersetzern in Zukunft weiter ansteigen wird. "Insbesondere mit der voranschreitenden Globalisierung wird es wichtig, dass Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sich global vernetzen und miteinander agieren können", sagt sie.
Die Zukunft der Übersetzungen
Diese Tendenz belegen auch die Statistiken des US-Arbeitsministeriums. Laut deren Prognosen steigen die Jobmöglichkeiten für Dolmetscher und Übersetzer bis 2028 um 19 Prozent. Während es 2018 rund 76.100 Beschäftigte waren, sollen es 2028 schon 90.700 Beschäftige sein. Dieser Anstieg sei deutlich schnellerer als beim Durchschnitt aller Berufe, heißt es.
Dieses Beschäftigungswachstum spiegele die zunehmende Globalisierung und eine vielfältigere US-Bevölkerung wider. Dazu kommen der wachsende internationale Handel und die Ausweitung der globalen Beziehungen, die mehr Dolmetscher und Übersetzer erfordern.
Ob Programme wie DeepL menschliche Übersetzer einmal ablösen können? "Ich glaube eher, das maschinelle Übersetzer neue Möglichkeiten bieten", so Jaroslaw Kutylowski. Er denkt, dass DeepL vor allem neue Märkte und neue Arbeitsabläufe schaffen wird.
"Unsere Vision ist es, Sprachbarrieren zu überwinden und Menschen einander näherzubringen. Wir helfen jeden Monat mehreren Millionen Menschen sich auszudrücken und miteinander zu kommunizieren", so Jaroslaw Kutylowski.