Merkel: Deutschland bleibt Deutschland
31. August 2016Auch nach der Integration Hunderttausender Neuankömmlinge werde "Deutschland Deutschland bleiben, mit allem, was uns daran lieb und teuer ist", versicherte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" (SZ). Veränderungen seien aber normal und nichts Schlechtes. Die CDU-Chefin verwies auf geltende Werte und Grundsätze, "die sich widerspiegeln in unserer Liberalität, unserer Demokratie, unserem Rechtsstaat und unserem überwältigenden Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft".
Ist die Identität der Deutschen also dieselbe wie vor einem Jahr - bevor im Herbst 2015 knapp eine Million Flüchtlinge in der Bundesrepublik Schutz fanden? Bundesinnenminister Thomas de Maizière stellt das in Frage. "Wir wissen nicht mehr genau, wer wir sind und wer wir sein wollen. Was uns als Deutsche ausmacht", sagte er dem Hamburger Magazin "Stern". "Obwohl es uns ökonomisch gut geht wie selten zuvor, sind wir uns unserer selbst, unserer Identität nicht sicher genug."
Der CDU-Politiker äußerte seine Sorge über die Integration von Muslimen. Diese gestalte sich "objektiv schwieriger" als beispielsweise die Integration von Russlanddeutschen. Zu groß seien die kulturellen Unterschiede. Das mache Anpassungs- und Integrationsanstrengungen schwieriger, meint de Maizière.
Dauert alles "einfach viel zu lang"?
Aymen Mayzek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, sieht nicht im Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen ein Problem, sondern in der praktischen Umsetzung von Integrationsansätzen. Er zeigte sich überzeugt, dass die meisten Flüchtlinge gewillt seien, sich einzubringen. Doch wenn das Prinzip "Fordern und Fördern" nicht angewendet werde, würden die Menschen träge. Dann verkämen "ihr Ehrgeiz und ihre Bereitschaft, sich hier einzubringen". Derzeit dauere es zwischen einem halben und einem Jahr, bevor ein Flüchtling einen Integrationskurs besuchen könne, kritisierte Mazyek. Das sei "einfach viel zu lang".
Mazyek lobte den vor einem Jahr von Merkel geprägten Satz "Wir schaffen das". Die Aussage entspreche den freiheitlichen Rechten, der Demokratie und dem Grundgesetz. Auf der anderen Seite bleibe die Integration der Flüchtlinge "eine Mammutaufgabe".
Merkel zieht selbstkritisch Bilanz
Es ist eine Aufgabe, die ganz Europa derzeit zu bewältigen hat. Eine gesamteuropäische Lösung fanden die EU-Politiker bisher jedoch nicht. Im Interview mit der SZ übte die Kanzlerin Selbstkritik: "Auch wir Deutschen haben das Problem zu lange ignoriert und die Notwendigkeit einer gesamteuropäischen Lösung verdrängt." Schon 2004 und 2005 seien ja viele Flüchtlinge gekommen. "Und wir haben es Spanien und anderen an den Außengrenzen überlassen, damit umzugehen", räumte Merkel ein. Berlin habe sich damals lange gegen die notwendigen Reformen in der EU gewehrt, betonte Merkel.
Im vergangenen Herbst wollte sich die Berliner Regierung ihrer Verantwortung gegenüber hunderttausenden Menschen stellen, die aus Kriegsgebieten fliehen - vor allem aus Syrien. In dem Satz "Wir schaffen das", den die Kanzlerin am 31. August 2015 in einer Pressekonferenz sagte, spiegelt sich diese Bereitschaft wider.
Flüchtlingspolitik spaltet Deutschland
Heute ist die deutsche Bevölkerung wie die Politik gespalten, was die unbegrenzte Aufnahme von Migranten in Deutschland angeht. Merkels Umfragewerte sinken und auf sozialen Netzwerken drücken Nutzer sowohl ihre Zustimmung als auch ihren Unmut aus.
Selbst im Führungszirkel ihrer Regierung bröselt der Rückhalt. Vizekanzler Sigmar Gabriel kommentierte den Flüchtlingskurs der Kanzlerin zuletzt mit den Worten: "Es gibt natürlich so etwas wie eine Obergrenze, das ist letztlich die Integrationsfähigkeit des Landes."
100 Menschen pro Tag
Kanzleramtschef Peter Altmaier stellt sich derweil hinter Merkel. Am Dienstag rechnete er im Deutschlandfunk vor, dass im vorigen Oktober noch etwa 7000 Menschen pro Tag von der Türkei nach Griechenland kamen - heute seien es gerade einmal 100. Der CDU-Politiker betonte: "Wenn ich mit Kollegen aus diesen osteuropäischen Ländern rede, dann sage ich ihnen immer auch, dass man nicht den Welthandel globalisieren kann, die Dienstleistung globalisieren kann und dann so tun kann, als könne man bei einer Flüchtlingskrise die Rollläden herunterlassen, die Klingel abschalten, sich ins Bett legen und die Decke über die Ohren ziehen."
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl warf der Bundesregierung dagegen vor, seit der damaligen Aussage Merkels einen Kurswechsel in Europa vorgenommen zu haben. In Deutschland sei der großartigen Bereitschaft, Flüchtlinge zu schützen, ein "lang anhaltender Winter der Restriktionen" gefolgt. Statt um den Schutz der Flüchtlinge gehe es "nur noch um den Schutz vor Flüchtlingen".
nin/kle (dpa, afp, epd, SZ)