Merkel in der Höhle des Löwen
2. Februar 2017Eine politische Lösung für den Syrien-Krieg und der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei - das sind die großen Themen, die bei der eintägigen Visite von Angela Merkel in Ankara auf dem Programm stehen. Eine Lösung der europäischen Flüchtlingslingskrise ist für Merkel von besonderer Relevanz, denn das Thema könnte die Bundestagswahl im Herbst entscheiden.
Doch ob die türkische Regierung sich weiter bemüht, das Abkommen umzusetzen, ist fraglich. Ankara hat nach dem gescheiterten Putsch am 15. Juli vergangenen Jahres wiederholt mangelnde Solidarität auf Seiten der europäischen Verbündeten kritisiert. Der Besuch Merkels in der Türkei kommt nach Meinung der Regierung in Ankara zu spät.
Was Ankara erwartet
Mustafa Yeneroğlu, der für die regierende Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) im Parlament sitzt, betont gegenüber der DW, dass die Türkei nicht die Unterstützung erfahren habe, die das Land von Deutschland erwartet hätte: "Alle Angelegenheiten, die wir im vergangenen Jahr angesprochen haben, sind noch nicht umfassend erörtert worden. Da besteht noch Gesprächsbedarf."
Vor allem die Visa-Erleichterung für türkische Staatsbürger, die die Türkei im Gegenzug zu der Rücknahme von Flüchtlingen fordert und die die EU noch nicht auf den Weg gebracht hat, seien ein Thema. Außerdem unternehme Deutschland zu wenig im Kampf gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die in der Türkei, der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird. "Als Land, das am 15. Juli triumphierend seine Demokratie verteidigt und den Kampf gegen den Terror aufgenommen hat und versucht, Frieden in Syrien zu schaffen, erwarten wir mehr Solidarität und Taten, anstatt immer neuer Versprechen", so Yeneroğlu. Dennoch unterstreicht er die symbolische Bedeutung der Merkel-Visite: "Der Besuch sechs Monate nach dem blutigen Coup-Versuch ist zweifellos sehr wichtig."
Umgang mit Gülen-Angehörigen ist umstritten
Die türkische Regierung erwartet von der deutschen Regierung insbesondere auch Maßnahmen gegen die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen, den Ankara als Drahtzieher des Putschversuchs im Juli betrachtet.
So vermutet Ankara etwa, dass die ehemaligen Staatsanwälte Zekeriya Öz und Celal Kara, die der Bewegung nahe stehen sollen, nach Deutschland geflohen sind. Die türkische Regierung hatte die Auslieferung der beiden sowie 30 weiterer Staatsbürger gefordert, die Gülen-Anhänger sein sollen. Außerdem will die Türkei, dass Deutschland noch ausstehende Asylanträge von türkischen Beamten, unter ihnen vor allem Militärangehörige, ablehnt.
Berlin ist bislang untätig geblieben und hat lediglich umfassende Akten angefordert, die konkrete Beweise gegen die Beschuldigten beinhalten. Die Asylananträge würden überprüft, hieß es aus Berlin.
Schlechtes Timing
Unzufrieden mit Berlin ist aber auch die türkische Opposition: Die Republikanische Volkspartei (CHP) kritisiert vor allem den Zeitpunkt der Merkel-Visite vor dem bevorstehenden Referendum über die von Präsident Erdogan initiierte Verfassungsreform zur Ausweitung seiner Macht. Der führenden Oppositionspartei zufolge könnte der Besuch als Unterstützungsgeste für die Regierungspolitik und die umstrittene Reform hin zu einem Präsidialsystem ausgelegt werden.
Die stellvertretende Parteivorsitzende der CHP, Selin Sayek Böke, sagte der DW, dass ihre Partei Vorbehalte gegen Merkel wegen des Timings ihres Besuchs habe - auch wenn sie ihre Bemühungen bei der Lösung der Flüchtlingskrise nachvollziehen könnte. Der Entwurf für die Verfassungsreform enthalte Elemente, durch die der Präsident mehr exekutive und legislative Vollmachten erhalte und die Demokratie abgebaut würde. "Wir sind der Meinung, dass jeder, der an Freiheit und Demokratie glaubt, den Erhalt dieser Werte auch unterstützen muss - vor allem im Moment." Selin Sayek Böke kritisierte auch, dass Merkels letzte Visite genau vor der vergangenen Wahl stattgefunden und Merkel sich nicht mit Vertretern der CHP getroffen habe.
Festnahmen von Kurden
Und dann ist da noch der Ausnahmezustand, in dem sich die Türkei nach dem Putschversuch befindet. Er wurde noch einmal im Januar verlängert - nach dem Terroranschlag in der Silvesternacht. Viele Parlamentarier, Bürgermeister und andere Politiker wurden seitdem ins Gefängnis gesteckt. So auch Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş, die beiden Vorsitzenden der prokurdischen Demokratischen Volkspartei (HDP). Die Partei ist derzeit die drittstärkste Kraft im Parlament.
Die Europaabgeordnete der HPD, Eyüp Doru, ist der Meinung, dass Merkel die einzige noch verbliebene Führungskraft in Europa ist, die sich mit Präsident Erdogan trifft und dass der einzige gangbare Weg der Türkei darin bestünde, den eingeschlagenen Kurs zu ändern. "Die Türkei hat grundlegende Prinzipien der Demokratie und das Recht auf Wahlen abgeschafft", so Doru im DW-Interview. "Unsere beiden Vorsitzenden und fast alle unsere Bürgermeister sitzen im Gefängnis. Das kann man nicht mehr Demokratie nennen. Wir erwarten, dass sie alle sofort wieder freigelassen werden."