Merkel - Macron: Schwierige politische Ehe?
16. September 2021"Ich muss heute Abend noch nach Berlin zurück", sagte die Bundeskanzlerin , nachdem sie gemeinsam mit dem französischen Präsidenten die lange und ehrgeizige Agenda für ihr letztes offizielles Arbeitsessen vorgestellt hatte. Die Lage in Afghanistan und die Hoffnung auf weitere Ausreisen von politischen Flüchtlingen, der Umgang mit den Taliban, aber auch die Situation in der terrorbedrohten Sahelzone sowie in Libyen und Iran – bei allem brauche man eine gemeinsame europäische Position.
Aber auch die Situation in der Ukraine im Bezug auf Russland, die politische Lage in Belarus sowie der anstehende EU-Balkangipfel wurden beim Abendessen besprochen - ein Galopp durch die derzeitigen außenpolitischen Krisen der Weltpolitik. Bei all diesen Themen arbeiteten Deutschland und Frankreich zusammen, so Macron, "und wir werden das weiter tun, liebe Angela, bis zur Regierungsbildung", versicherte der Präsident. Ein eher persönlicher Abschied zwischen beiden ist noch später im Herbst geplant.
Ein kompliziertes Verhältnis
Beobachtete man Angela Merkel und Emmanuel Macron in den letzten Jahren, entstand durchaus der Eindruck, dass beide "miteinander konnten". Vor allem zu Beginn seiner Amtszeit behandelte der junge Präsident die Bundeskanzlerin mit ausgesuchter Höflichkeit und fast mit so etwas wie Bewunderung. Sie war die erfahrenste Machtpolitikerin im Kreis der EU-Chefs. Macron mag durchaus das Gefühl gehabt haben, er könne etwas von ihr lernen.
Politisch aber kam bald die Ernüchterung. Denn auf seine große Rede zur Zukunft Europas nach der Wahl 2017, in der er die "Hand ausstreckte nach Merkel und Deutschland", wie Mathilde Ciulla vom Politikinstitut ECFR in Paris es formuliert, habe er nur Schweigen als Antwort bekommen. "Das war für ihn ziemlich frustrierend. Sie hatten ein kompliziertes Verhältnis, und das lag manchmal auch an einem Mangel an Kommunikation und an den Unterschieden in der politischen Kultur beider Länder."
Angela Merkels Verhältnis zu Macron allerdings war noch immer das beste, verglichen mit den anderen drei französischen Präsidenten, die sie in ihrer Amtszeit erlebte. Jacques Chirac war bereits am Ende seiner Karriere und mit dem unsteten und eitlen Nicolas Sarkozy fremdelte die Bundeskanzlerin erkennbar. Und doch mussten beide zusammen die EU durch die Finanzkrise manövrieren, was eher schlecht als recht gelang. Der ideologische Zusammenstoß zwischen den fiskalisch vorsichtigen Deutschen, die eher zu den Nordlichtern zählen, und der eher südeuropäischen französischen Ausgabenmentalität machte es schwierig, an einem Strang zu ziehen.
Der deutsch-französische Motor im Krisenmodus
Mit Francois Hollande dann, dem Präsidenten, der in Berlin bald als politisch lahme Ente erschien, musste Merkel die Flüchtlingskrise und die russische Annexion der Krim bewältigen. Gelang es ihr, Hollande eng in die Verhandlungen mit Russlands Präsident Putin einzubinden, war Frankreich ihr im nachfolgenden bitteren Streit um die Verteilung und Aufnahme von Flüchtlingen in der EU kaum eine Hilfe. "Im Detail gibt es einfach unterschiedliche Interessen", sagt Frank Baasner vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigshafen. Die Alleingänge etwa von Emmanuel Macron gegenüber dem russischen Präsidenten, der zwischenzeitlich eine Art Sonderbeziehung zum Kreml gesucht hatte, wurden in Berlin eher mit Stirnrunzeln aufgenommen.
"Im Endeffekt hat es immer geklappt, wenn Notsituationen da waren", sagt Baasner zur Zusammenarbeit beider Länder. Er nennt das große EU-Programm "Next Generation" zum Klimaschutz als einen dieser Erfolge. Für Mathilde Ciulla ist der Corona-Wiederaufbau-Fonds das sichtbarste Zeichen dafür, dass in Krisen der deutsch-französische Motor funktioniert. Dieser Beschluss, in der EU gemeinsam Schulden zu machen, war etwas, "was es in Europa noch nie gegeben hatte", betont die Politikwissenschaftlerin, und wobei Merkel wie Macron ihre pragmatische Seite gezeigt hätten. "Das war ein wichtiger Schritt in der deutsch-französischen Beziehung und ein großer Erfolg."
Bloß keine Visionen – oder doch?
Die Bundeskanzlerin gilt als betont nüchtern, eher als Anti-Visionärin. Judy Dempsey von Carnegie Europa kritisiert diesen Zug an Merkel: "Emmanuel Macron machte Europa zum Zentrum seines Wahlkampfes 2017 und gewann. Aber egal wie oft er mit Merkel über die Notwendigkeit sprach, sich über die künftige Ausrichtung Europas zu verständigen, sie hat nie geantwortet."
Wann immer es um Verteidigung ging, um mehr politische und wirtschaftliche Integration oder die Notwendigkeit für demokratische Reformen, sei Merkel als das Gegenteil von Macron erschienen. Bei den Grundsatzfragen zur Zukunft Europas oder der Entwicklung einer strategischen Philosophie habe sie die großen Entscheidungen versäumt, sagt Dempsey.
Frank Baasner hat da mehr Verständnis für die Zögerlichkeit der Bundesregierung, gerade gegenüber Emmanuel Macron. Mit seiner Charmeoffensive politisch umzugehen und "auf diesen dynamischen Präsidenten mit seinen sehr weitgehenden Ideen und Vorschlägen entsprechend zu antworten", sei für Berlin nicht so einfach gewesen. Deshalb sei in Frankreich der Eindruck hängen geblieben, die Deutschen hätten auf diese Avancen - man denke an das Euro-Budget, die gemeinsame Verteidigung und vieles mehr - eigentlich nicht reagiert.
"Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Frankreich sich auch anderen EU-Ländern annähern sollte." Das bedeute nicht ein Weniger an deutsch-französischer Zusammenarbeit, sondern die Bildung weiterer, thematisch orientierter Koalitionen, sagt Mathilde Ciulla in Paris. Der Blick auf die letzten Jahre durch die französische Brille weist doch auf eine weiterreichende Enttäuschung, vor allem in der gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik.
Aufgaben für die neue Bundesregierung
Den Klimawandel und das Verhältnis zu China hält Ciulla für die wichtigsten Themen der nächsten Jahre. Außerdem müsse man die Bemühungen für eine strategische Autonomie in Europa wiederbeleben, so Forderungen von Präsident Macron, denen gegenüber sich Berlin verhalten zeigte. "Ich glaube, Frankreich hätte gern ein stärker geopolitisch orientiertes Deutschland", so Ciulla.
Auch Judy Dempsey glaubt, dass Deutschland unter Merkel bei der Definition der großen geopolitischen Fragen keine Rolle gespielt habe, und leitet daraus Erwartungen an die nächste Bundesregierung ab. Der deutsche Frankreichbeobachter Frank Baasner dagegen sieht die nächsten Aufgaben pragmatischer: "Wie gehen wir mit der Schuldenbremse um, müssen wir den Stabilitätspakt überdenken", werde man nicht gemeinsame europäische Investitionen brauchen? Da würden sich beide Seiten, auch gemeinsam mit Italien, zusammenraufen müssen, da werde die neue deutsche Regierung gefordert sein.