Merkel schafft Klimawandel auf EU-Gipfel
11. Dezember 2020Nachdem am Freitagmittag endlich alles vorbei war, strahlte Angela Merkel regelrecht vor Erleichterung: "Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen", räumte sie ein, als das Gipfeltreffen– rund 22 Stunden nach Beginn – endlich vorbei war. Sie saß im vergangenen halben Jahr auf dem heißen Stuhl der rotierenden EU-Ratspräsidentschaft, und musste all ihre Erfahrung und Verhandlungskünste einsetzen, um wenigstens die größten aktuellen Probleme zu bewältigen. "Es war nicht ganz leicht", sagt sie selbst dazu nur lapidar.
Der vielleicht bedeutendste Erfolg ist, dass die 27 Mitgliedsländer sich jetzt verpflichtet haben, ihren Ausstoß von Klimagasen bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu verringern. Dass man dieses Ziel einen Tag vor dem UN-Gipfel erreicht habe, "dafür hat es sich gelohnt, eine Nacht nicht zu schlafen". Einmal mehr war hier die sprichwörtliche Ausdauer von Angela Merkel gefragt.
Polen bremst
Größter Bremser bei diesen Gesprächen war der polnische Premier, der Zusicherungen verlangte, dass sein Land keine finanziellen Verluste durch die anstehenden Umweltschutzmaßnahmen erleiden würde. Mateusz Morawiecki hatte wohl bei den Hardlinern in seiner Regierungspartei etwas gut zu machen: Er hatte sein Veto beim Haushalt zurückgezogen und tat deshalb alles, um für Polen den maximalen finanziellen Ausgleich für den wirtschaftlichen Umbau der Kohleregionen und anderer betroffener Wirtschaftszweige herauszuholen.
Im Kern des Streits stand dabei der Emissionshandel: Polen will bei der anstehenden Reform und Verschärfung der Bedingungen eine Reihe von Ausnahmen sowie einen Teil der Einnahmen behalten. Nach zähem Ringen gab sich der Premier mit der Zusicherung zufrieden, dass Ungleichgewichte ausgeglichen würden. Polen werde mehr Geld bekommen als anfangs erwartet, erklärte er am Ende zufrieden.
Umweltverbände kritisieren dagegen, die vereinbarte Reduktion beim Ausstoß von Klimagasen um 55 Prozent sei zu gering. Greenpeace-Chef Martin Kaiser fordert einen Rückgang von 65 Prozent.
Bundeskanzlerin hingegen erklärte, sie wolle sich nicht vorstellen, was geschehen wäre, hätte man die EU-Länder nicht alle mit ins Boot bekommen. Die EU sieht sich als internationaler Vorreiter beim Klimaschutz, ein solches Versagen wäre auch für sie als Ratsvorsitzende eine Blamage gewesen.
Harte Arbeit beim Haushalt
Schon beim Ringen um die Verabschiedung des historischen Rekordhaushaltes hatte Merkel hart daran gearbeitet, einen Kompromiss zwischen den festgefahrenen Positionen einzelner Länder zu finden.
Ungarn und Polen hatten sich auf die Ablehnung des neuen Rechtsstaatlichkeitsmechanismus versteift und zunächst ein Veto eingelegt. Die Lage schien fast hoffnungslos.
Am Ende stand eine Art Formelkompromiss, der ein paar rechtliche Sicherungen in die neue Regelung einbaut, diese aber im Kern nicht verändert - wenn alles gut geht. Der sogenannte Rechtsstaatsmechanismus soll dafür sorgen, dass künftig EU-Gelder von den immer autokratischer agierenden Regierungen in Warschau und Budapest - oder auch anderen - nicht mehr missbraucht werden können.
Bisher war die EU quasi machtlos gegenüber solchen Praktiken. Kommissionschefin Ursula von der Leyen kündigte an, dass ihre Behörde Anfang 2021 damit beginnen wolle, Fälle von Verstößen zu sammeln. Sobald der europäische Gerichtshof seine Rechtsmeinung zu der neuen Regelung gegeben habe, würden sie abgearbeitet.
Nicht alles geschafft
Angela Merkel räumt auch ein, dass sie noch etwas Arbeit für die Portugal übrig gelassen habe, das im Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Sie hätte gern einen EU-China Gipfel in Deutschland abgehalten – aber daraus wurde nichts wegen Corona und der politischen Entwicklung.
Enttäuscht zeigte sich die Kanzlerin auch beim Thema Türkei: "Das hätten wir gern konstruktiver gesehen (…), aber wir reichen der Türkei weiter die Hand und wollen an einer konstruktiven Agenda arbeiten". So würden angesichts der fortgesetzten Bohrungen im östlichen Mittelmeer weitere Personen und Unternehmen auf die Sanktionslisten gesetzt.
Insgesamt erklärte Angela Merkel zum Verhältnis mit der Türkei: "Wir haben uns mehr vorgenommen". Sie hat bislang versucht, das Verhältnis zu retten und den Forderungen von Griechenland oder Frankreich nach härteren Maßnahmen widerstanden. Das Thema Türkei kehrt auf die Agenda zurück: Im Frühjahr will sich die EU damit erneut befassen, und auch über die türkische Intervention in Libyen und den Konflikt um Berg-Karabach reden.
Am Ende lobten sich die Gipfelteilnehmer selbst. Der Belgier Charles Michel, ständiger Präsident des Rates, erging sich in einer "Hommage an Merkel, die all ihre Stärke, Kreativität und Führungskraft in den vergangenen Monaten bewiesen hat". "Ohne die stetige Führung (der Kanzlerin) wäre es nicht möglich gewesen" fügt EU-Kommissionschefin von der Leyen hinzu.