Cameron für "weniger Europa"
10. November 2015Es war eine umfassende, eine lange Rede. Sie habe sich länger angefühlt als "Krieg und Frieden“, wie jemand im Kurznachrichtendienst Twitter spöttisch bemerkte. So existenziell wie in Tolstois mehrere hundert Seiten starkem Meisterwerk ging es zwar nicht zu bei David Camerons Rede. Aber immerhin stellte der 49-jährige Premier auch nicht mehr und nicht weniger als den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union infrage in seiner Ansprache an seine Bürger - und Brüssels Politiker.
In London stellte Cameron die Forderungen seiner Regierung an die EU vor, die er so auch in einem Schreiben an EU-Ratspräsident Donald Tusk formuliert hat.
Cameron: Freizügigkeit einschränken
Cameron verlangt umfassende EU-Reformen als Voraussetzung für einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union. Vor allem dürften Nicht-Euro-Länder wie Großbritannien nicht gegenüber der Euro-Gruppe benachteiligt werden. Zudem wolle sich London vom EU-Ziel einer immer engeren Gemeinschaft verabschieden.
So soll die Freizügigkeit in der Europäischen Union eingeschränkt werden: In Großbritannien soll die Niederlassungsfreiheit nicht für Staatsangehörige neuer EU-Mitgliedsstaaten gelten, geht es nach Cameron. Voraussetzung für die Freizügigkeit sei, dass deren Volkswirtschaften zur britischen passen müssten. Der Zuzug von Migranten nach Großbritannien, vor allem auch aus Europa, müsse grundsätzlich beschränkt werden.
Sein Land werde sich auch nicht an einer immer engeren Integration der Europäischen Union beteiligen, kündigte Cameron an. Die Vielfalt der Nationalstaaten sei Europas größte Stärke. Der Kontinent müsse sehen, dass die Lösung für jedes Problem nicht immer mehr Europa sei. "Manchmal ist es weniger Europa."
Merkel: Deutschland wird seinen Beitrag leisten
Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich offen für Camerons Vorschläge: "Wir wollen im Geiste der Lösungsorientiertheit diese Vorschläge bearbeiten. Da gibt es schwierige und weniger schwierige Punkte." Deutschland werde seinen Beitrag dazu leisten, "soweit das möglich ist innerhalb der europäischen Regeln". Nach eigenen Angaben wurde Merkel am Montagabend von Cameron telefonisch informiert. "Ich kenne die Forderungen. Das ist keine Überraschung, die jetzt auf den Tisch kommt."
Merkel hatte noch im Oktober nach Gesprächen mit Cameron erklärt, Errungenschaften der europäischen Integration wie das Prinzip der Freizügigkeit und der Nicht-Diskriminierung stünden bei den Beratungen über eine Reform der EU nicht zur Disposition.
Referendum Ende 2017 soll entscheiden
Nach Ende der Verhandlungen mit der EU soll das britische Volk in einem Referendum bis spätestens Ende 2017 über die weitere Mitgliedschaft abstimmen. erwartet wird die Volksabstimmung aber bereits im kommenden Jahr. Cameron sagte, eine nochmalige Nachverhandlung oder ein zweites Referendum werde es nicht geben.
Umfragen zufolge ist der Ausgang des Referendums öffnen. Die Frage ist auch innerhalb der Regierung umstritten.
bor/sti (dpa, rtr, afp)