Merkels Reise zu einem schwierigen Partner
24. Januar 2020Es kommt selten vor, dass sich Deutschland und die Türkei einig sind. Aber die Sorge um die Instabilität im Nahen Osten und Nordafrika verbindet beide Länder. Besonders besorgt ist die deutsche Regierung über die Gefahr eines erneuten Anstiegs der Flüchtlingszahlen. Das macht die Türkei nach wie vor zu einem wichtigen Akteur in der Region - einem, mit dem Bundeskanzlerin Angela Merkel zurechtkommen muss. Im Juli übernimmt Deutschland den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Dadurch erhält das Treffen Merkels mit Präsident Recep Tayyip Erdogan an diesem Freitag in Istanbul noch mehr Gewicht.
Geben und Nehmen
Der CDU-Politiker Andreas Nick sitzt im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Im Gespräch mit der DW betont er, dass jede nachhaltige Lösung für die Region "die legitimen türkischen Sicherheitsinteressen berücksichtigen" müsse. Das betreffe vor allem Syrien und die Migrationsströme aus den Nachbarländern.
Für die Türkei ist die Kurdenmiliz YPG im Norden Syriens ein Arm der PKK, die sowohl die Türkei als auch die Europäische Union als Terrororganisation einstufen. Ankara besteht darauf, dass die Verbindung zwischen YPG und PKK auch offiziell anerkannt wird. Zusätzlich drängt das Land darauf, eine Sicherheitszone einzurichten, in die syrische Flüchtlinge zurückkehren könnten. Nick rechnet damit, dass zumindest einige Flüchtlinge langfristig in ihr Heimatland zurückkehren werden. Allerdings werde Deutschland keine erzwungenen Umsiedlungen akzeptieren.
Es bleibt abzuwarten, was Merkel unternehmen wird, um die Türkei davon abzuhalten, Kriegsparteien mit Waffen zu beliefern oder unilateral militärisch in der Region einzugreifen. Das Bekenntnis der Türkei im Zuge der Libyen-Konferenz in Berlin, sich an ein vereinbartes Waffenembargo zu halten, wurde von deutscher Seite zumindest begrüßt.
Der Volkswirt Erdal Yalcin von der Universität Konstanz geht davon aus, dass die Türkei nun über ein Druckmittel verfügt. "Die Türkei hat etwas aufgegeben und kann nun etwas anderes im Gegenzug verlangen", sagt er im DW-Gespräch. Die türkisch-deutschen Beziehungen seien eher von Geben und Nehmen als von Kooperation geprägt.
Kampf gegen ungeregelte Migration
Ankaras Augenmerk liegt vor allem auf dem EU-Türkei-Migrationsabkommen, künftigen Hilfszahlungen für die Türkei, einer Modernisierung der deutsch-türkischen Zollunion und der Art und Weise, wie Deutschland die Agenda der EU prägen wird. Die Bekämpfung der ungeregelten Migration ist aber das bestimmende Thema für Deutschland und die Türkei. Die Zukunft des Migrationsabkommens zwischen der EU und der Türkei ist ungewiss in einer Zeit, in der die Türkei EU-Mitgliedsstaaten beschuldigt, ihren Verpflichtungen nicht nachzukommen.
Der Bundestagsabgeordnete Nils Schmid sagt im Gespräch mit der DW, die Zahlungen innerhalb des Abkommens würden noch zwei Jahre andauern. Danach müssten beide Seiten auswerten, wie es weitergehen könne. "Da wird es dann darum gehen, vielleicht stärker soziale Infrastruktur für alle in der Türkei lebenden Menschen aufzubauen - nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für Türken selber", sagt Schmid.
Der Migrationsexperte Murat Erdogan hingegen meint, dass das Abkommen ausschließlich für syrische Flüchtlinge gedacht und dass "ein neues Abkommen nötig" sei. Merkel werde nicht nur auf die syrischen Flüchtlinge eingehen müssen, die vor den Luftangriffen in Idlib fliehen, sagt Murat Erdogan. "Es wird auch um die wachsende Zahl an Menschen gehen, die im letzten Jah aus Afghanistan, Pakistan, dem Irak und Iran gekommen sind." Die Mehrheit der Menschen, die in Griechenland ankämen, komme inzwischen nicht mehr aus Syrien.
Eine schwächelnde Wirtschaft
Die wachsende Zahl an Migranten belastet die türkische Wirtschaft. Zudem haben die jüngsten politischen Spannungen auch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Türkei und ihrem wichtigstem Handelspartner Deutschland beschädigt. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2018 umfasste der Handelsumsatz noch 30,6 Milliarden Dollar. Im gleichen Zeitraum 2019 betrug er nur noch 27,3 Milliarden.
Der deutsche Automobil-Gigant Volkswagen verschob die Eröffnung einer neuen Fabrik wegen des militärischen Einsatzes der Türkei in Nordsyrien. Ähnlich erging es einem Energie-Forum und einem Treffen der Wirtschafts- und Handelskommission JETCO (Joint Economic and Trade Commission), die für vergangenen Oktober bzw. November angesetzt gewesen waren. Beides wurde von der deutschen Regierung als Reaktion auf die türkische "Operation Peace Spring" im Oktober 2019 verschoben. Die türkische Seite drängte darauf, die Treffen stattfinden zu lassen, aber Merkels Regierung bliebt standfest. Stattdessen wird Merkel an einem runden Tisch der deutsch-türkischen Handelskammer in Istanbul teilnehmen.
Abbau der Demokratie
Der FDP-Politiker Bijan Djir-Sarai forderte Merkel vor ihrem Besuch dazu auf, Erdogan zu verdeutlichen, dass "von einem NATO-Partner ein anderes Verhalten erwartet wird, als Präsident Erdogan es seit längerem an den Tag legt". In den deutsch-türkischen Beziehungen habe es in den letzten Jahren keine Fortschritte gegeben. Im Gegenteil, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verlören in der Türkei kontinuierlich an Boden.
Derzeit sitzen nach Angaben des Auswärtigen Amts rund 60 deutsche Staatsbürger in türkischen Gefängnissen - ein sensibles Thema zwischen den beiden Staaten. Auch die Inhaftierung des Anwalts Yilmaz S., der mehr als 20 Jahre lang für die deutsche Botschaft in Ankara arbeitete, und andere mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen belasten das Verhältnis. Die Unterdrückung der Opposition und eine fehlende Unabhängigkeit der Justiz verhindern aus deutscher Sicht eine Normalisierung der Beziehungen. Kanzlerin Merkel wird sich während ihres Besuchs auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft und Anwälten treffen, um sich aus erster Hand die derzeitige Situation schildern zu lassen.