Mexiko testet Recht auf Rausch
5. November 2015"Das Urteil ist ein erster Schritt in Richtung Legalisierung. Es leitet eine historische Wende in der bisher prohibitionistischen Politik ein", meint Saúl López Noriega, Verfassungsrechtler am "Instituto Tecnológico Autónomo de México" (ITAM) in Mexiko-Stadt. "Jetzt ist das Parlament gefragt."
Das Urteil des Obersten Mexikanischen Gerichtshofes (SCJN) vom 4. November geht auf eine Eingabe der Mexikanischen Gesellschaft für den verantwortungsvollen und toleranten Konsum von Marihuana zum Eigenbedarf (SMART) zurück. Die Organisation hielt das Cannabis-Verbot für verfassungswidrig und unverhältnismäßig.
Die Richter folgten der Argumentation und erlaubten den vier Klägern von SMART Anbau und Konsum von Marihuana zum Eigenbedarf. In der Urteilsbegründung hieß es, das Konsumverbot verstoße gegen das in der Verfassung festgeschriebene Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung.
Wann hört der Krieg gegen Drogen auf?
Für die Anhänger einer Legalisierung bedeutet der Richterspruch das Ende der bisherigen Drogenpolitik. "Es ist an der Zeit, dass die Prohibition verschwindet", meint Armando Santacruz, ehrenamtlicher Berater von SMART. "Die mexikanische Anti-Drogenpolitik richtet mehr Schaden an als der Drogenkonsum selbst."
Und Santacruz sieht auch einen direkten Zusammenhang zwischen dem Cannabis-Verbot und dem verheerenden Drogenkrieg in Mexiko: "In den vergangenen zehn Jahren sind die Ausgaben für öffentliche Sicherheit um 800 Prozent gestiegen. 100.000 Menschen sind gestorben, 20.000 gelten als vermisst", sagt der SMART-Aktivist. "Als Familienväter sind wir alle konsterniert."
Auch wenn immer mehr Länder auf dem gesamten amerikanischen Kontinent den Cannabis-Konsum legalisieren - in Mexiko wird sich dieser Prozess wohl noch eine Weile hinziehen. Laut mexikanischem Recht müssen noch vier weitere positive Urteile des Obersten Gerichtshofes vorliegen - erst dann ist der Kongress verpflichtet, die bestehenden gesetzlichen Verbote zu reformieren.
Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto erteilte unmittelbar nach der Urteilsverkündigung Hoffnungen eine Absage, der Kurs in der nationalen Drogenpolitik könnte wechseln. "Das Urteil bezieht sich lediglich auf vier Personen. Unsere Politik gegen das organisierte Verbrechen und den Drogenhandel bleibt davon unberührt", erklärt Peña Nieto.
Bevölkerung lehnt Legalisierung ab
Bei seiner skeptischen Haltung weiß der Präsident die Mehrheit der einheimischen Bevölkerung hinter sich. Nur die linksliberale Partei PRD (Partido de la Revolución democrática) spricht sich offen für eine Cannabis-Legalisierung aus. Alle anderen politischen Kräfte beschränkten sich nach der Urteilsverkündung darauf, eine "nationale Debatte" über das Thema führen zu wollen.
Nach einer Umfrage des mexikanischen Meinungsforschungsinstitutes "Parametría" sprechen sich 77 Prozent der Mexikaner gegen die Legalisierung von Marihuana zum Eigenverbrauch aus. "2008 lag der Anteil bei 92 Prozent", erläutert "Parametría" in einer Stellungnahme. Trotz des Rückgangs sei immer noch eine große Mehrheit der Bevölkerung gegen eine Legalisierung.
Die Umfragewerte stehen im Gegensatz zur schleichenden Liberalisierung auf dem gesamten amerikanischen Kontinent. Nicht nur in Uruguay sind Verkauf und Konsum von Cannabis bereits legal. Auch in Brasilien, das sich mittlerweile zu einem der größten Konsumentenländer entwickelt hat, debattiert der Oberste Gerichtshof darüber, ob der Besitz von geringen Mengen künftig erlaubt sein soll. In den USA haben die Bundesstaaten Alaska, Colorado, Oregon, Washington und Kalifornien den Konsum von Cannabis entkriminalisiert.
Verboten, aber verbreitet
In Mexiko ist Cannabis nach Angaben des jüngsten nationalen Drogenberichts aus dem Jahr 2011 die am meisten verbreitete illegale Droge. Rund 5,7 Millionen Mexikaner rauchen regelmäßig Gras, dies entspricht einem Anteil von 6,5 Prozent der Bevölkerung zwischen zwölf und 65 Jahren. Tendenz steigend.
Seit 2009 ist der Besitz von bis zu fünf Gramm Gras im Land straffrei. Doch weil die verkauften Portionen in der Regel größer sind, so wenden Kritiker ein, gelten Konsumenten in der Praxis weiterhin als Straftäter. Nach Angaben von SMART sitzt gut ein Drittel aller Häftlinge in mexikanischen Gefängnissen wegen Cannabisdelikten ein.
Der Abgeordnete Fernando Belaunzarán sieht nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs nun den Kongress in der Pflicht. "Auch wenn es noch eine Weile dauert - die Legislative muss die Gesetze ändern, die als verfassungswidrig gelten", sagt der Politiker der linksliberalen PRD. Schließlich gehe es um Bürgerrechte, die in der Verfassung garantiert werden.