Mexikos Flirt mit Venezuela
20. September 2021Großer Andrang herrschte am Samstag beim VI. Gipfeltreffen der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) in Mexiko, dem ersten großen Treffen seit anderthalb Jahren: Vom kubanischen Staatschef Miguel Diaz-Canel bis zum ecuadorianischen Präsidenten Guillermo Lasso, dem Vertreter einer liberalen, wirtschaftsorientierten Rechten. In letzter Minute traf auch der venezolanische Staatschef Nicolás Maduro ein, der von den Vereinigten Staaten wegen Drogenhandels gesucht wird und für dessen Festnahme eine Belohnung von 15 Millionen US-Dollar ausgesetzt wurde.
Rückenwind für gebeutelte lateinamerikanische Linke
Maduros Blitzvisite war nur folgerichtig: Die autoritäre Linke des Kontinents, zu der Venezuela, Kuba und Nicaragua gehören, ist von Wirtschaftssanktionen und vernichtenden Berichten von UN-Gremien über ihre Menschenrechtsverletzungen geplagt. In Mexiko bemühten sie sich um Unterstützung, da der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador angekündigt hatte, die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) durch die CELAC ersetzen zu wollen, in der weder die Vereinigten Staaten noch Kanada vertreten sind. Er griff damit eine Forderung von Ländern wie Nicaragua, Venezuela und Bolivien auf, die die OAS als interventionistisch und USA-hörig kritisiert haben.
Mexikos Motive
Welches Ziel verfolgt Mexiko mit dieser Initiative? Nach Ansicht politischer Analysten macht die mexikanische Regierung damit ihr Unbehagen gegenüber der OAS aus geopolitischen, aber auch programmatischen Gründen deutlich. Mit einem Paukenschlag beendet Mexiko seinen Vorsitz in der CELAC, der sich durch eine zurückhaltende und integrative Diplomatie auszeichnete. Die Führung konzentrierte sich auf konkrete Projekte wie die Beschaffung von Impfstoffen konzentrierte statt auf ideologische Streitigkeit, die den Staatenbund zu sprengen drohten.
So ganz gelungen ist das nicht, denn Brasiliens Staatspräsident Jair Bolsonaro hat das größte und bevölkerungsreichste Land des Kontinents im Januar 2020 aus der CELAC herausgeführt. Und auch während des Gipfels selbst kam es zu Spannungen und heftigen verbalen Auseinandersetzungen zwischen Argentinien und Nicaragua oder Uruguay und Kuba, die vom mexikanischen Außenminister Marcelo Ebrard eingedämmt werden mussten.
Ambitionen des Außenministers
"Dieser Gipfel hat den Druck erhöht, um eine Reform der OAS zu erreichen", sagt der Historiker José Antonio Crespo. Der Wissenschaftler am mexikanischen Zentrum für wirtschaftswissenschaftliche Forschung und Lehre (CIDE) schließt nicht aus, dass es sich dabei auch um einen Schachzug Ebrards handelt, um sich als Präsidentschaftskandidat zu profilieren. Dem Außenminister werden starke Ambitionen auf die Nachfolge von López Obrador nachgesagt. Er kann sich auf die Unterstützung des Präsidenten verlassen, mit dem er in seiner Kritik an der OAS übereinstimmt. Für viele innerhalb der lateinamerikanischen Linken sei López Obrador eine Art Ersatzfigur für den 2013 verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez, so der Experte.
Die Einladung von López Obrador an den kubanischen Staatschef Diaz Canel an der Militärparade während der Unabhängigkeitsfeierlichkeiten teilzunehmen, stützt diese Annahme, brachte den mexikanischen Präsidenten aber auch harsche Kritik ein.
"Es ist jetzt offensichtlich, dass sich López Obrador zum Komplizen der neuen Totalitarismen in Lateinamerika gemacht hat", sagte Tulio Hernández im Gespräch mit DW. "Indem er mit Díaz Canel und Maduro flirtet, stellt sich López Obrador auf die Seite derjenigen, die den demokratischen Fortschritt und die regionale Integration untergraben", betont der venezolanische Soziologe, der im kolumbianischen Exil lebt.
Offene Konfrontation mit USA vermeiden
Auch der mexikanische Politikwissenschaftler Rubén Aguilar befindet, dass López Obradors Auffassung Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates nicht als Neutralität ausgelegt werden kann. "Sanktionen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen abzulehnen, bedeutet, dass man sich auf die Seite diktatorischer Länder stellt" , sagt er der DW. Aguilar weist jedoch auf Widersprüche in der Haltung des mexikanischen Präsidenten gegenüber der OAS hin. "Zuerst sagte er, er wolle die OAS durch die CELAC ersetzen, das heißt einen rein lateinamerikanischen Integrationsmechanismus etablieren. Dann korrigierte er sich und lud Kanada und die Vereinigten Staaten ein, und schließlich sagte er, dass die Investitionen von dort kommen sollten, um die Entwicklung Lateinamerikas anzukurbeln, wodurch Nordamerika eine noch wichtigere Rolle als je zuvor zukäme."
Auch Crespo ist der Meinung, dass Mexiko keinen Konflikt mit den USA, seinem größten Handelspartner, sucht. "López Obrador hält die lateinamerikanische Agenda aufrecht, ohne sich mit den USA anzulegen." Jenseits von Rhetorik, Antipathien und persönlichen Ambitionen bleiben vom CELAC-Gipfel die Einrichtung einer lateinamerikanischen Raumfahrtbehörde, ein Katastrophenfond, sowie eine Vereinbarung über die Produktion von Impfstoffen und eine stärkere Zusammenarbeit in Gesundheitsfragen.