Plastikboom wird zum Problem
21. Juli 2017Etwas mehr als zwei Tonnen Plastik wurden weltweit noch 1950 produziert. Bei 448 Millionen Tonnen lag die Produktion schon 2015.
Durchschnittlich verbraucht jeder Bürger auf der Erde derzeit rund 60 Kilogramm Plastik pro Jahr. Nach Angaben von PlasticsEurope sind das für jeden Bürger in Nordamerika, Westeuropa und Japan jährlich über 100 Kg Plastik und für jeden Bürger im Nahen Osten und Afrika im Durchschnitt unter 20 Kg.
Nach einer globalen Plastikstudie, die jetzt in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht wurde, wurden weltweit bisher rund 8.300 Millionen Tonnen Plastik aus Erdöl neu produziert. Davon sind nach Berechnungen der Wissenschaftler noch rund 30 Prozent in Gebrauch, in Haushalten, Autos und Fabriken.
Weitere zehn Prozent der globalen Kunststoffproduktion wurden bisher verbrannt und rund 4.900 Millionen Tonnen (60 Prozent) landeten auf Mülldeponien oder in der Umwelt. Pro Erdbewohner sind das im Durchschnitt schon 650 Kg Plastikmüll.
Ein erheblicher Teil der Kunststoffe gelangen aber auch in die Weltmeere. Dort werden sie kaum abgebaut und reichern sich in der Nahrungskette an. Für das Ökosystem Meer und für Fischesser als letztes Glied in der Nahrungskette ist dies nicht gesund. Rund zwei Prozent der weltweit produzierten Kunststoffe landen nach Angaben der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) derzeit im Meer.
"Wir steuern auf einen Plastikplaneten zu", warnt Studienleiter Roland Geyer von der University of California. Diese Entwicklung brauche unsere Aufmerksamkeit. Das weltweite Wachstum der Plastikproduktion sei "erstaunlich und es sieht nicht so aus als würde sich das bald verlangsamen".
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass wir bei einer Fortsetzung des derzeitigen Trends im Jahr 2050 etwa 12.000 Millionen Tonnen Plastikmüll auf den Mülldeponien und in der Umwelt haben werden.
Mehr Müll als Fisch
Plastikmüll wird im Meer mit der Zeit zu immer kleineren Partikeln zersetzt. Ohne Trendwende beim Umgang mit Kunststoffen könnten in einigen Jahrzehnten mehr Plastikteilchen in den Meeren schwimmen als Fische.
Miesmuscheln, Wattwürmer und Fische nehmen die kleinsten Plastikteilchen, die nach und nach auch zu Mikroplastik werden, auf. So reichern sich die Kunststoffe auch in den Lebewesen und der Nahrungskette an. Studien zeigten bereits Auswirkungen auf verschiedene Meerestiere, wie verringertes Fortpflanzungs-, Wachstums- und Bewegungsverhalten, Entzündungen und erhöhte Sterberaten.
In welchem Umfang genau Schadstoffe von Plastik in die Umwelt oder in Körpergewebe übergehen und welche Auswirkungen dies genau hat, ist jedoch noch nicht abschließend geklärt. Die sogenannte Mikroplastikforschung steckt noch in den Kinderschuhen.
Derzeit ist unvermeidbar, dass beim Verzehr von Fischen, Krusten und Schalentieren eine kleine Menge an Plastikpartikeln auch vom Menschen aufgenommen wird. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) kommt zwar zu dem Schluss, dass Mikroplastik derzeit kein besonderes Risiko für die menschliche Gesundheit darstellt, betont aber auch deutlich, dass es noch wenig Daten gibt. Daher sei der Forschungsbedarf groß.
Plastik aus Textilien, Verkehr und Körperpflegeprodukte
Als Mikroplastik bezeichnet man Kunststoff-Teilchen mit einer Größe im Mikrometer oder Nanometerbereich (0,0001 bis 0,0000001 cm). Sie entstehen aber nicht nur durch Abrieb und Zerfall von Plastikmüll im Meer.
Eine weitere Quelle für Mikroplastik ist der Abrieb von Kunststoffen auf dem Land. Das meiste Mikroplastik wird durch synthetische Textilien freigesetzt. Inzwischen enthalten schon rund 60 Prozent der Kleider Kunstfasern und der Trend zur Nutzung des günstigen Garns geht weiter steil nach oben.
Bei einem einzigen Waschgang werden zum Beispiel von einer einzigen Fleece-Jacke bis zu einer Million Fasern freigesetzt. Laut einer aktuellen EU-Studie spülen allein Europas Waschmaschinen jährlich rund 30.000 Tonnen Synthetikfasern ins Abwasser und ein Teil davon fließt weiter ins Meer.
Einen etwa gleichgroßen Einfluss auf den direkten Eintrag von Mikroplastik im Meer hat der Straßenverkehr. Der Abrieb von Reifen und Fahrbahnmarkierung geht in die Luft und wird durch Winde und Flüsse anschließend in die Meere getragen.
Problem erkannt?
Die Verschmutzung der Ozeane wird inzwischen auch international zunehmend diskutiert, im Juni auf dem UN-Gipfel zum Schutz der Meere in New York. Auch die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten bekräftigen mit dem G20-Aktionsplan zu Meeresmüll ihre Absicht zur Abfallvermeidung und besseren Abfallmanagement.
"Wenn unsere Erde ein blauer Planet bleiben soll, dann müssen wir die Vermüllung unserer Meere zügig stoppen. Wir müssen jetzt handeln und zwar auf breiter internationaler Ebene", sagt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. "Das Ausmaß der Müllmengen ist jetzt schon unfassbar groß. Über die Einigung der G20-Staaten auf einen gemeinsamen Aktionsplan gegen Meeresmüll bin ich daher sehr froh. Der Schutz unserer Meere ist damit weltweit ganz vorne ins Bewusstsein gerückt."
Begrüßt wird der Aktionsplan auch von Umweltverbänden. Das sei ein richtiger Schritt, dennoch vernachlässige der Aktionsplan die Bekämpfung der Ursachen. "Regierungen suchen die Antwort zu häufig im Recycling, dabei müssen sie das Problem an seiner Wurzel anpacken: Unnötiges Plastik darf gar nicht erst produziert werden", sagt Thilo Maack, Meeresbiologe von Greenpeace. Der nächste logische Schritt sei, Plastikprodukte möglichst häufig wiederzuverwenden.
Um die zunehmende Flut von Plastikmüll auch besser in den Griff zu bekommen, sollte Plastik zudem einen Preis bekommen, der auch die Folgekosten einbezieht. "Wenn man diese Kosten von Anfang an in die Produkte einpreist, dann wird Plastik sparsamer genutzt und wiederverwertet und umweltfreundlichere Lösungen im Vergleich günstiger", so Maak gegenüber der Deutschen Welle.