Milde Strafe für Tugce-Schläger?
4. Dezember 2014Lebenslänglich wegsperren! Das fordern immer mehr Menschen in unzähligen Internetforen für den mutmaßlichen Täter Sanel M. Der 1996 in Serbien geborene junge Mann soll laut Staatsanwaltschaft Offenbach seine Tat gestanden haben. Er habe der jungen Frau mit türkischen Wurzeln allerdings "nur eine Backpfeife" gegeben, einen Schlag ins Gesicht, erklärte Sanel M.
Dieser Schlag muss Tugce so heftig getroffen haben, dass sie zu Boden fiel und sehr schwere Kopfverletzungen erlitt. Die Folge: Hirntod. Zwei Tage nach der hoffnungslosen Diagnose ließ die Familie die lebenserhaltende Technik abschalten. Die Beerdigung erfolgte in dieser Woche unter großer öffentlicher Anteilnahme.
Nach der Trauer herrscht nun Fassungslosigkeit über den 18-Jährigen, der Tugce niederschlug. Der arbeitslose Offenbacher soll bereits mehrere Straftaten begangen haben und gilt als "polizeibekannter Mehrfachtäter". Jetzt ist die Diskussion um härtere Jugendstrafen wieder in vollem Gang, wie auch heftige Dialoge in sozialen Netzwerken zeigen.
Prozess und Anklage
Der Prozess im Fall Tugce soll nach Angaben der Staatsanwaltschaft Offenbach möglichst zeitnah zur Tat, in spätestens sechs Monaten, beginnen. Weil derzeit keine Anhaltspunkte oder Hinweise vorliegen, dass der 18-jährige Schläger die Absicht hatte, die Studentin Tugce zu töten, wird die Anklage nicht auf Totschlag oder Mord lauten, sondern auf: "Körperverletzung mit Todesfolge". Im Gesetz ist dafür eine Strafe bis zu zehn Jahren Haft vorgesehen.
Das denkbare Urteil
Angesichts der bisher bekannten Sachlage geht der Jurist Hans-Jörg Albrecht im Interview mit der Deutschen Welle von einer Strafe zwischen drei bis fünf Jahren für den Täter aus. Albrecht ist Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg. "Die Strafe, die den Beschuldigten in diesem Fall treffen dürfte, wird sich nicht unterscheiden von der Strafe, die einen Erwachsenen treffen würde bei derselben Straftat", lautet die Einschätzung des erfahrenen Juristen, der besonders zu dem Thema "Strafzumessung" geforscht hat. Auch andere Juristen, die inzwischen von diversen Medien zu ihrer Einschätzung befragt wurden, teilen den Tenor: Es wird auf ein in der Öffentlichkeit wahrscheinlich als zu milde empfundenes Urteil hinauslaufen. Drei Jahre Haft seien denkbar. Sogar eine Aussetzung dieser Haftstrafe zur Bewährung. Das liegt nicht an zaghaften Richtern, sondern an den Gesetzen und Vorschriften, an die Gerichte im Rechtsstaat Deutschland gebunden sind.
Die Urteilskriterien
Das Gericht muss zunächst auf den Tathergang blicken. Das Beweis-Video vom Tatort, dem Parkplatz vor einem Schnellrestaurant, zeigt zwar den Angriff auf Tugce. Die Aufnahmen sind aber von so schlechter Qualität, dass es zu Interpretationsschwierigkeiten kommen könnte. Verteidiger des mutmaßlichen Täters könnten sogar behaupten, Sanel M. sei angegriffen worden und hätte daraufhin zugeschlagen. Noch unklar ist, was die beiden Mädchen vor Gericht aussagen werden, die die zu Tode gekommene Tugce beschützen wollte. Bei unklaren Aussagen heißt es in Prozessen immer: Im Zweifel für den Angeklagten.
Entscheidend für die Urteilsfindung ist die Person des Täters. Sanel M. wurde erst wenige Tage vor der Tat 18 Jahre alt. Damit ist er volljährig und wäre nach dem Strafrecht für Erwachsene zu behandeln. Juristen sprechen aber bei einem 18-Jährigen von einem so genannten "Heranwachsenden". Dieser kann in einem Alter zwischen 18 und 21 Jahren sowohl nach dem Strafrecht für Erwachsene als auch nach dem Strafrecht für Jugendliche verurteilt werden. Der Strafrechtsexperte Hans-Jörg Albrecht dazu: "Der Beschuldigte wird in diesem Fall nicht milder beurteilt werden, sollte das Jugendstrafrecht angewendet werden". Der Grund sei, dass auch im Jugendstrafrecht die "Schwere der Tat" mit ins Urteil fließt. Die Todesfolge des Angriffs von Sanel M. dürfte sich daher auswirken.
Viel entscheidender für das Urteil werde die Frage sein, ob der mutmaßliche Täter erkennen lässt, dass er resozialisierbar sei. Betrachtet werden muss insofern auch die Vorgeschichte des Beschuldigten. Sanel M. ist bereits wegen Einbruch, Diebstahl, Sachbeschädigung und in einem Fall wegen Körperverletzung verurteilt worden. Trotz dieses Strafregisters gilt der junge Mann nicht als Intensivtäter. Dafür hätte er laut Definition von Juristen "über einen längeren Zeitraum mehrfach schwerwiegende Gewaltdelikte" ausführen müssen.
Ablehnung härterer Strafen
"Unter Juristen und Strafrechtlern und unter Justizpraktikern sehe ich zur Zeit keine Mehrheit für eine Verschärfung des Jugendstrafrechts", erklärt Professor Albrecht vom Max Planck Institut für Strafrecht in Freiburg. Dagegen spräche die Kriminalitätsstatistik seit dem Jahr 2005."Wir sehen seit geraumer Zeit, dass die Jugendkriminalität und auch die Jugendgewalt zurückgeht", so Albrecht.
Lebenslange Strafen für jugendliche Täter würden bedeuten, dass man all jenen, die in jungen Jahren eine schwere Straftat begangen hätten, jede Chance nehmen würde, jemals in ein sinnvolles Erwachsenenlebens zurückzukehren. Auf junge Straftäter "erziehend" einzuwirken, statt Sühne über hohe Strafen zu verfolgen, sei Verpflichtung der UN-Kinderrechtskonvention, die die Bundesrepublik ratifiziert hat. Die Möglichkeit, mehr Härte in Urteilen zu zeigen, ist danach bei jungen Tätern begrenzt.
Nadine Bals von der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. verweist auf Forschungen, die ergaben, dass bei längeren Haftstrafen über fünf Jahren, die Chancen auf ein anschließendes, normales Leben ohne Wiederholungstaten dramatisch sinken. "Höhere Haftstrafen wirken kontraproduktiv." Bessere Ergebnisse habe man in allen Fällen erzielen können, wenn junge Straftäter einen Sozialhelfer für alle Lebenslagen bei der Rückkehr in den Alltag an der Seite hatten.