Milliarden-Betrug mit Klimazertifikaten aus China
11. Dezember 2024Der Anbieter klang seriös. 2023 beschloss die Firma Verbio aus Deutschland in Klimazertifikate aus China zu investieren. Das Angebot kam von einer chinesischen Firma namens Beijing Karbon. Die Projekte seien bereits genehmigt, Verbio müsse sich um nichts weiter kümmern, versprach Beijing Karbon.
"Die Firma kam uns sehr professionell vor", sagt Stefan Schreiber, einer der Vorstände des Unternehmens. Er sitzt in einem Konferenzraum auf dem Betriebsgelände in Schwedt bei Berlin, der den Blick auf eine Industrielandschaft freigibt. An Tanks und Rohren schieben sich regelmäßig Tanklaster vorbei.
Verbio ist ein Biosprit-Hersteller, der auch mit CO2-Zertifikaten handelt. 2023 erwarb die Firma die Rechte an Klimazertifikaten aus China. Sie stammten von einer Anlage, die Gas nutzt, das bei der Ölförderung abfällt. Ansonsten würde es einfach abgelassen oder verbrannt werden.
Anreize für weltweiten Klimaschutz
Die Zertifikate werden in Deutschland ausgestellt. Die Idee dahinter ist, dass das Geld Anreize bieten soll, in Klimaschutz auf Öl- und Gasfeldern weltweit zu investieren. Die deutsche Behörde, das Umweltbundesamt, hatte die Genehmigung bereits erteilt. Schreiber erschien das Geschäft vorteilhaft. "Eine risikolose Sache", erinnert er sich.
Doch das Angebot war zu schön, um wahr zu sein.
Gemeinsam mit ZDF Frontal hat sich das Investigativ-Team der DW durch Projektdokumente gearbeitet, hat Satellitenbilder gesichtet und mit Insidern gesprochen. Verbios Projekt, Aktenzeichen BZIA, ist nach unseren Recherchen mit hoher Wahrscheinlichkeit Teil eines größeren Betrugs.
Denn genehmigt werden dürfen nur neue Anlagen - so will Deutschland sicherstellen, dass wirklich zusätzlicher Klimaschutz entsteht.
Alte Anlage als neu ausgegeben
Doch wir finden viele alte Anlagen, die als neue Klimaschutzprojekte eingereicht wurden. So auch Projekt BZIA: Eine Aufnahme von 2019 zeigt, dass die Anlage bereits komplett dastand, eineinhalb Jahre bevor das Klimaschutzprojekt in Deutschland beantragt wurde.
Dementsprechend eindeutig fällt auch das Urteil von Axel Michaelowa aus, einem Experten für Klimazertifizierung an der Universität Zürich, dem wir unsere Rechercheergebnisse gezeigt haben: "Diese Anlage hätte auf keinen Fall genehmigt werden dürfen. Es darf nicht sein, dass eine Anlage bereits existiert, bevor der Antrag gestellt wird."
Ein Muster, das wir bei vielen Projekten finden: Eine alte Anlage wird als neues Klimaschutzprojekt ausgegeben.
Die meisten fragwürdigen Projekte stammen offenbar von nur einer chinesischen Firma: Beijing Karbon hat sich auf Emissionsreduktionen und Zertifikatshandel spezialisiert.
Die Gründerin hatte zuvor in verschiedenen Leitungsfunktionen im chinesischen Regierungsapparat und in Staatsunternehmen mit Energiefragen zu tun. Gemeinsam mit ihrem Sohn und anderen gründete sie 2011 Beijing Karbon.
Auch Stefan Schreibers Projekt wurde von Beijing Karbon entwickelt. Das geht aus den offiziellen Projektdokumenten hervor. Schreiber zahlte in Raten an die chinesische Firma - wie viel genau und wohin darf er wegen einer Verschwiegenheitsklausel nicht sagen. Auf Basis der Dokumente schätzen wir den Wert auf 25 Millionen Euro.
Gab es Helfer in Deutschland?
Verträge und Dokumente hätten professionellen Standards genügt, sagt er, "Wenn es Betrug war, wovon wir ausgehen, dann muss es in Deutschland Leute gegeben haben, die dieses System in- und auswendig kennen", ist er überzeugt. "Sonst wäre das in dieser Professionalität nicht möglich gewesen."
In der Branche zeigen einige mit dem Finger auf die Prüfunternehmen, die die Anlagen laut Akten inspiziert haben. Denn das Bundesumweltamt inspiziert die Projekte nicht selbst, sondern stützt sich in seiner Bewertung auf die Arbeit von privaten deutschen Prüfunternehmen. Sie arbeiten weitgehend selbstständig.
In einem Brandbrief von Brancheninsidern an das Amt wird sogar ein noch weitergehender Verdacht geäußert. Die Prüfunternehmen, schreiben die Autoren, hätten mit Beijing Karbon "konspiriert".
Beweise für Absprachen konnten wir nicht finden. Dafür aber viele Hinweise darauf, dass die Prüfunternehmen grobe Fehler gemacht haben. In einem Fall bescheinigen die Unterlagen einer Anlage sechs große Gasspeicher, dabei zeigen Fotos und Satellitenbilder klar, dass dort nur vier stehen.
Laut Prüfberichten seien Inspektoren der Unternehmen siebenmal vor Ort gewesen. "Ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Prüfer vor Ort waren", folgert daher Axel Michaelowa von der Universität Zürich. "Diese Tanks kann man nicht übersehen."
Die Prüfunternehmen in diesem Fall sind durchaus renommiert. Müller-BBM Certist auf Umweltgutachten spezialisiert. Und Verico SCE ist sogar ein noch größerer Name in der Branche. Einer der Vorstände vertrat mehr als zehn Jahre lang die Interessen der weltweiten Prüfunternehmen vor Gremien der Vereinten Nationen. 48 der 66 Projekte aus China hat mindestens eine der beiden Firmen geprüft. "Das hätte auffallen müssen", findet Michaelowa.
Die Unternehmen weisen die Vorwürfe zurück. Verico SCE sieht "keinen Grund an der Qualität unserer gutachterlichen Tätigkeiten bzw. derjenigen unserer Auditoren zu zweifeln." Und Müller-BBM Cert zeigt sich "überzeugt, dass kein tatbestandsmäßiges Verhalten von Mitarbeitern unserer Gesellschaft vorliegt."
In Deutschland hat inzwischen die Aufarbeitung des Betrugsvorwurfs begonnen. Das Umweltbundesamt hat 45 Projekte unter Vorbehalt gestellt und möchte so viele Zertifikate wie möglich zurückrufen. Nicht in allen Fällen wird das möglich sein. Einige Projekte sind bereits abgeschlossen. Neue Anträge für das Programm werden nicht mehr angenommen. Die Staatsanwaltschaft hat beide Prüfunternehmen durchsucht.
Beijing Karbon ließ alle unsere Anfragen unbeantwortet.
Mitarbeit: Yuchen Li
Redaktion: Esther Felden
Fact-Checking: Carolyn Thompson
Juristische Beratung: Florian Wagenknecht