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Mindestlohn gegen Armut

Adrian Kriesch7. Oktober 2013

40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Afrikas lebt täglich mit weniger als einem Euro, schätzt die Internationale Arbeitsorganisation. Viele Staaten haben mit einem Mindestlohn darauf reagiert - mit gemischtem Erfolg.

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Geldscheine: 1000 Schillinge. Sie entsprechen 10 Euro. (Foto: Copyright: Rafael Belicanta)
Bild: Rafael Belicanta

Sanftes Wellenrauschen, weißer Sandstrand - dieses Bild eines Traumurlaubs lockt jedes Jahr tausende Touristen auf die Insel Sansibar. Und die Touristen bringen Geld mit - viel Geld. Im Ndame Guest House an der Ostküste der Insel kostet ein Doppelzimmer in der Hochsaison 80 Euro pro Nacht. Ein großer Teil der Angestellten verdient 65 Euro - allerdings für einen ganzen Monat Arbeit. Das ist der staatlich festgelegte Mindestlohn auf Sansibar. Das Parlament der Regionalregierung denkt nun darüber nach, den Mindestlohn zu verdoppeln. Die deutsche Managerin des Ndame Guest House, Sina Heidmann, schüttelt den Kopf. Zu kurzsichtig sei diese Idee - denn sie koste Arbeitsplätze. "Je steiler die Erhöhung, desto mehr Leute müssen wir einsparen", sagt Heidmann.

Heidmann gibt aber auch zu: Obwohl sich die Gehälter der Angestellten wegen des stetig steigenden Mindestlohnes in den letzten drei Jahren verdoppelt haben, laufe das Geschäft weiter gut. Doch ein Mindestlohn mache nur dann Sinn, wenn er überall durchgesetzt werde. Es sei ein offenes Geheimnis auf Sansibar, dass die Kontrolleure häufig korrupt seien, sagt die Hotel-Managerin. Einige konkurrierende Unternehmen umgingen so den Mindestlohn. Ein weiteres Problem ist hier die unkontrollierte Schattenwirtschaft. Der so genannte informelle Sektor ist groß. Hier greifen Mindestlöhne nicht, da sich diese Unternehmen nicht an gesetzliche Vorgaben halten.

Blick auf den Strand von Jambiani an der Ostküste der Insel Sansibar. (Foto: dpa)
Sansibar - ein Urlaubsinsel mit MindestlohnBild: picture-alliance/dpa

Harte Realität auf Sansibar

Ein paar hundert Meter entfernt an der Dorfstraße sitzt Hamed Hassan Aboud in seinem neuen Restaurant. Sechs Mitarbeiter hat er vor ein paar Wochen eingestellt, alles Freunde und Familienmitglieder. Er profitiert davon, dass der Staat kaum die Kapazität hat, kleine Firmen zu kontrollieren. "Ein Mindestlohn kann nicht funktionieren, vor allem nicht in einem kleinen Dorf wie hier", sagt der Unternehmer. "Ein Kellner kann maximal 30 Euro im Monat verdienen." Abouds Angestellte verdienen teilweise nur 25 Euro im Monat - weniger als die Hälfte des Mindestlohns. Er sagt: Wenn der Mindestlohn streng durchgezogen würde, käme es zu Entlassungen. Viele Wirtschaftswissenschaftler weltweit stimmen dieser These zu.

Barbara Riedmüller bezeichnet sie allerdings als "reine Propaganda". Die emeritierte Politikwissenschaftlerin der Freien Universität Berlin hat jahrelang zu dem Thema geforscht. Und auch eine aktuelle Studie der Universität Berkeley gibt ihr Recht. Diese hat den US-Arbeitsmarkt untersucht und festgestellt, dass Arbeitgeber nicht mit Entlassungen auf die Einführung von Mindestlöhnen reagiert haben. Doch es gibt auch eine Reihe von Studien, die das Gegenteil behaupten.

Der Unternehmer Hamed Hassan Aboud in seinem Restaurant in Paje, Sansibar: (Foto: Adrian Kriesch)
Hamed Hassan Aboud in seinem Restaurant in PajeBild: DW/A. Kriesch

"Wenn man in die Geschichte zurückblickt, muss man generell sagen, dass Errungenschaften wie Arbeitszeitregulierung, Lohnregulierung und soziale Sicherung von den Arbeitern erkämpft worden sind“, gibt Riedmüller im Bezug auf einige afrikanische Staaten zu bedenken. Zu schwach seien häufig die Kontrollorgane des Staates. Die Arbeiterrechte seien kaum institutionalisiert, Gewerkschaften zu schwach. "Das ist in den meisten afrikanischen Ländern ein Problem. Außer in Südafrika – da sieht die Situation ganz anders aus." Im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern hat Südafrika eine lange Gewerkschaftsgeschichte. Vor allem bei Lohnverhandlungen im Minensektor hat sich in Südafrika immer wieder die Macht der Gewerkschaften gezeigt. Zuletzt haben sich aber auch Arbeiter anderer Sektoren besser organisiert.

Südafrika: Mindestlohn gegen massive Ungleichheit?

Ende 2012 in der Weinregion Westkap: Die Farmarbeiter gehen auf die Straße. Nachdem ein Farmbesitzer auf Demonstranten schießt, droht die Lage zu eskalieren. Wieder geht es um den Mindestlohn. 11 Euro Gehalt pro Tag fordern die Arbeiter, einige bekommen nur 5,50 Euro. "Ich habe sechs Kinder und eine Frau. Wie sollen wir mit dem bisschen Geld zurechtkommen. Die Leute hungern bei diesen Löhnen, die wir bekommen!", beklagt sich ein Demonstrant. Nach den Protesten erhöht die Regierung den Mindestlohn der Farmarbeiter auf 7,50 Euro – auch wegen des starken Drucks der Gewerkschaften.

"Südafrika hat weltweit die größte Ungleichheit beim Einkommen", sagt Patrick Craven, Sprecher des größten Gewerkschaftsverbandes des Landes, COSATU. "Das wird ein Mindestlohn nicht komplett ändern können. Aber er ist ein starkes Signal an die, die ganz unten stehen, und spielt eine wichtige Rolle auf dem Weg zu einer gerechteren Gesellschaft." Ein Argument, dass auch die Internationale Arbeitsorganisation, kurz ILO, unterstützt. Sie empfiehlt den Regierungen jedoch, die Höhe des Mindestlohnes genau zu bedenken und ihn regelmäßig anzupassen.

Arbeiter bei der Ernte auf einem Feld. ZAF, 2009
Farmarbeiter in Südafrika beschweren sich: Sie können von ihrem Lohn schlecht lebenBild: picture alliance/WILDLIFE

Gesellschaftlicher Druck gegen Unterbezahlung

Obwohl in Südafrika mehr als jeder zweite Jugendliche arbeitslos ist, sieht auch Benjamin Stanwix von der Universität Kapstadt eher positive Entwicklungen durch die Einführung eines Mindestlohnes in einigen Sektoren. Gerade schlecht qualifizierte und unterbezahlte Arbeiter konnten ihre Lebensqualität verbessern. "Auch der gesellschaftliche Druck ist wichtig. Wenn alle anderen in deiner Region den Mindestlohn zahlen, wirst du das selber auch eher machen", sagt der Arbeitsmarktforscher.

Auch in vielen anderen Ländern Afrikas ist der Mindestlohn ein Thema. Jedes dritte Land des Kontinents hat bereits einen allgemeinen Mindestlohn. Fast zwei von drei Ländern Afrikas haben branchenbezogene Mindestlöhne. Damit liegt der Kontinent im weltweiten Vergleich vorne, berichtet die ILO.

Gleichzeitig mahnt die Organisation jedoch, dass ein Mindestlohn allein nicht ausreiche, um Armut und Ungleichheit zu bekämpfen. Entwicklungsländer sollten deshalb weitere Sozialleistungen einführen oder bestehende soziale Sicherungssystem verbessern, um die Wirkung eines Mindestlohns zu maximieren.