Minsk heizt, doch Moskau geizt
7. Dezember 2019Russland und Weißrussland (Belarus) könnten bereits an diesem Wochenende ein Integrationsabkommen unterzeichnen, das schloss der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko vor wenigen Tagen nicht aus. Was genau im Text des Abkommens steht, ist jedoch offiziell noch geheim. Russischen Medien soll ein Dokumententwurf vorliegen. Sie berichten, dass es nicht um eine politische, sondern um eine tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Integration beider Länder, inklusive gemeinsamer Steuern- und bürgerlicher Gesetzbücher gehen soll.
Seit 22 Jahren bilden Russland und Belarus offiziell eine Staatenunion. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass Moskau und Minsk sich weiter annähern, scheint nicht besonders hoch angesichts der Tatsache, dass Lukaschenko eine Bedingung stellte: Zunächst müssten die Partner sich über die Zukunft der russischen Subventionen für Weißrussland einig werden.
Russland will Entlastung
Denn Weißrussland hängt finanziell am russischen Tropf. Bis zu einem Viertel des Bruttoinlandsprodukts (etwa 55 Milliarden US-Dollar) erwirtschaftet das Land dank niedriger russischer Öl- und Gaspreise. Doch Russland steckt selbst in einer wirtschaftlichen Krise und will seine Unterstützung nicht mehr im selben Umfang leisten wie bisher. In diesem Jahr änderte Russland seine Steuergesetzgebung, was für Weißrussland zur Belastung wurde. Vor allem das Öl für die weißrussischen Ölraffinerien verteuerte sich, die Staatseinnahmen sinken. "Das ist ein doppelter Verlust für Minsk", sagt der russische Wirtschaftsexperte Alexej Schurubowitsch. Bis 2024 dürfte Weißrussland allein durch diese Änderung Verluste von knapp 11 Milliarden US-Dollar verzeichnen.
Schon jetzt leidet die weißrussische Wirtschaft unter dem Einfluss neuer russischer Maßnahmen, sagt Jacques Miniane vom Internationalen Währungsfonds. Weißrussland habe sich in den 1990er Jahren bewusst für eine enge Anbindung an Russland entschieden, um die Wirtschaft vor Schocks zu schützen, erzählt der weißrussische Wirtschaftsexperte Dmitri Kruk: "Faktisch wurde alles auf ein Pferd gesetzt". Jetzt könne Minsk nicht auf einmal unabhängig werden, so Kruk.
Abhängigkeit von Moskau: nicht nur Öl und Gas
Auch wenn die russischen Öl- und Gassubventionen für Weißrussland bereits seit Jahren sinken, steuerten sie 2018 noch immer rund zwölf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt des Landes bei, rechnet Jacques Miniane vom IWF vor. Die russische und die weißrussische Wirtschaft sind eng verflochten, sagt Schurubowitsch. Weißrussland exportiert fast 40 Prozent seiner Waren nach Russland.
Moskau ist auch der wichtigste Geldgeber für Minsk: Fast 38 Prozent der Staatsschulden hat das Land in Moskau, sagt die weißrussische Wirtschaftsexpertin Katerina Bornukowa gegenüber der DW. Mit dem IWF hat Minsk dagegen kein Kreditprogramm abgeschlossen.
Zwei Szenarien
In Minsk herrsche "große Unsicherheit" bezüglich des Abkommens mit Moskau, sagte Miniane, dessen IWF-Mission vor kurzem Belarus besuchte. Dass die Führung im Kreml mit Dauerherrscher Lukaschenko eine Einigung findet, ist alles andere als sicher: In der Vergangenheit sind bereits mehrere Annäherungsversuche gescheitert, so etwa auch der Versuch einer Währungsunion.
Wenn Minsk ohne das Integrationsabkommen und damit ohne Kompensationen für die russischen Steuerverschärfung bleibt, "bedeutet das einen signifikanten Schock für die weißrussische Wirtschaft", glaubt Jacques Miniane. "Wir haben bereits gesagt: Ohne Kompensationen und generell ohne Außensubventionen, ohne große Reformen wird die Wirtschaft nicht nachhaltig existieren können."
Selbst mit russischen Kompensationen malt der IMF-Vertreter kein rosiges Bild für die Zukunft der weißrussischen Wirtschaft: "Ich möchte den Mythos entzaubern, dass dadurch alle Probleme Weißrusslands gelöst werden. Die Kompensationen lassen die Situation einfach nicht schlechter werden."
Weißrussland hat noch Zeit, um den Effekt der russischen Preissteigerungen abzumildern, sagen Experten. "Nächstes Jahr kann man diese Verluste durch das Finanzpolster, welches das Finanzministerium in den letzten Jahren angehäuft hat, kompensieren", glaubt Wirtschaftsexperte Dmitri Kruk. "Doch dann muss man sich etwas einfallen lassen, wie man das Budget stabilisiert und die Abhängigkeit von Russland verringert".