Mit Schwulenhass Biobrot verkaufen
8. Juni 2017Ein Mann mit Vollbart wechselt die zerschlagene Fensterscheibe in einem kleinen Brotladen in Moskaus Stadtmitte aus. "Schwuchteln haben das Fenster kaputt gemacht", sagt er grimmig. Das homophobe Schimpfwort ist auch hinter dem zerborstenen Glas auf einer Holztafel zu lesen, die offenbar Ziel des Angriffs war. "Kein Zutritt für Schwuchteln", steht da in geschwungener altslawischer Schrift. Der Vorfall Ende Mai sei nicht der erste, sagt leise eine junge Verkäuferin.
Die nach ihm benannte Biobrot-Ladenkette des russischen Geschäftsmanns German Sterligow wirbt seit April mit homophoben Tafeln um Kunden. Den Anfang machte St. Petersburg, später tauchten solche Tafeln in einem Dutzend Sterligow-Brotläden landesweit auf, auch in der Hauptstadt.
Ex-Millionär mit skurrilen Ansichten
Sterligow, Jahrgang 1966, ist ein Geschäftsmann, der vor einigen Jahren auch von ausländischen Medien gerne als Aussteiger porträtiert wurde. Als Mitbegründer der ersten Börse in der späten Sowjetunion wurde er Millionär, versuchte sich als Politiker und kandidierte unter anderem für das Bürgermeisteramt in Moskau. Er scheiterte, verlor viel Geld und zog aufs Land, um sich seiner kinderreichen Familie und der Bio-Landwirtschaft zu widmen. Sein Markenzeichen: Lebensmittel, hergestellt wie im vorindustriellen Zeitalter. Günstig sind sie allerdings nicht. Ein Brot vom Vortag kostet umgerechnet rund 10 Euro, ein frisches Brot das Doppelte oder gar das Dreifache.
Mit seinem skurrilen Lebensstil, rechtskonservativen und christlich ultraorthodoxen Ansichten sorgt Sterligow immer wieder für Schlagzeilen. So wettert er gegen Abtreibungen, gegen Ärzte und Wissenschaftler allgemein. Seine neueste Idee: Den Strom auf dem ganzen Planeten abschalten, um die Natur zu retten.
Diskriminierung wird toleriert
Mit Tafeln gegen Schwule in seinen Läden habe Sterligow gegen russische Gesetze verstoßen, sagen die von der DW befragten Experten. Es gebe sowohl ein Hetze-und Extremismus-Verbot in der Verfassung als auch entsprechende Paragraphen im Strafrecht, sagt Alexander Jermolenko, Mitarbeiter einer Moskauer Anwaltskanzlei. Das bestätigt auch die Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina. Jeder könne sich bei der Staatsanwaltschaft beschweren: "Eine Beschwerde hätte durchaus Chancen, denn das ist reine Diskriminierung und ein Verstoß gegen die Verfassung."
Doch diese Rechtsnormen würden bisher einseitig angewandt - etwa beim Vorgehen gegen extremistische Organisationen, stellt Alexander Jermolenko fest. "Es gibt das allgemeine Verständnis darüber, dass man einen bestimmten Personenkreis diskriminieren darf", sagt der Rechtsexperte: "So ist es in Russland und Sterligow versteht das sehr gut."
Abneigung gegen Homosexuelle wird stärker
Die ohnehin starke Abneigung gegen sexuelle Minderheiten in Russland wurde in den vergangenen Jahren immer stärker. So hat das Parlament 2013 ein international kritisiertes Gesetz verabschiedet, das hohe Geldstrafen für "Homosexualität-Propaganda" unter Minderjährigen vorsieht.
Zuletzt sorgten Berichte einiger russischer Medien für Aufsehen, wonach in der Teilrepublik Tschetschenien im Nordkaukasus Homosexuelle gezielt verfolgt und misshandelt werden. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch der neue französische Präsident Emmanuel Macron sprachen das Thema bei ihren Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Mai an. Putin soll angekündigt haben, die Vorwürfe untersuchen zu lassen.
Scherz Putins mit Signalwirkung
In diesen Tagen sorgen allerdings andere Äußerungen des Kremlchefs zu diesem Thema für Aufsehen. Es geht um Auszüge aus einer Dokumentation des US-Starregisseurs Oliver Stone über Putin. Stone sprach den russischen Präsidenten auf das umstrittene Gesetz gegen "Homosexuelle Propaganda" an. Putin bestritt, dass dieses Gesetz Schwulenrechte beschränke. Dann fragte Stone, was Putin tun würde, wenn er mit einem Homosexuellen auf einem U-Boot duschen müsste. "Ich würde lieber nicht mit ihm duschen gehen", sagte Putin und lachte: "Wozu ihn provozieren? Aber wissen Sie, ich bin Judo-Meister."
Russland habe sich an den besonderen Humor des russischen Präsidenten inzwischen gewöhnt, sagt der Kolumnist Oleg Kaschin. Dieser Humor habe seinen Ursprung in den Gossen Leningrads, des heutigen St. Petersburg, in denen Putin aufgewachsen ist. Und doch habe ihn die jüngste Äußerung des Staatschefs überrascht. Als Vorbild für Staatsbeamte auf allen Ebenen sollte der Präsident besser auf seine Wortwahl aufpassen, fordert Kaschin.