Mittäter, Mitwisser oder nur guter Freund?
4. Februar 2004Seit August 2003 beschäftigt das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg die Frage, was der Mann von den Attentatsplänen des 11. September 2001 in den USA wusste: Dem 31 Jahre alten Marokkaner Abdelghani Mzoudi werden Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord in mehr als 3000 Fällen vorgeworfen. Die Verteidigung hat auf Freispruch plädiert. Die Bundesanwälte und die Vertreter der Nebenklage hatten zuvor die mögliche Höchststrafe von 15 Jahren Haft gefordert. Die ursprünglich für Donnerstag (22.1.2004) geplante Urteilsverkündung wurde überraschend verschoben, weil die Bundesanwaltschaft hat einen neuen Zeugen präsentierte.Der erwies sich aber als wenig glaubwürdig. Viele Prozessbeobachter rechnen deshalb mit einem Freispruch.
Richtungsweisende Vorentscheidung
Nach den Plädoyers der Ankläger und der Verteidigung liegen die Anträge denkbar weit auseinander: Die Bundesanwälte und Nebenkläger sagen schuldig und fordern die Höchststrafe von 15 Jahren, die Verteidigung plädiert auf Freispruch für ihren Mandanten. Mit Blick auf das Urteil haben die Richter allerdings bereits am 11. Dezember 2003 eine wohl richtungweisende Entscheidung getroffen: Sie haben den Angeklagten Mzoudi aus der Haft entlassen. Die spektakuläre Entscheidung erfolgte, nachdem im Prozess völlig unerwartet eine Zeugenaussage vom Ramzi Binalship vorlag. Binalship war Mitglied der Terrorzelle in Hamburg und hat die Anschläge des 11. September mit geplant.
Danach ist er geflohen und wurde exakt ein Jahr später, am 11. September 2002 in Pakistan von US-Geheimdiensten gefasst. Seitdem wird sein Aufenthaltsort von den US-Behörden geheim gehalten. Alle Anträge, Binalship als Zeugen vor Gericht zu vernehmen und auch die Vorlage von Aussageprotokollen wurden bisher von den US-Behörden abgelehnt. Bis auf die erwähnte Ausnahme, in der Binalship die Namen von vier Männern nennt, die zur Terrorgruppe in Hamburg gehörten. Der Angeklagte Mzoudi gehörte nicht dazu und soll laut Binalship auch nichts von der Anschlagsplanung gewusst haben.
Verteidigung: Keine Schuldbeweise
Die Hamburger Richter sahen daraufhin keinen dringenden Tatverdacht und keine Fluchtgefahr mehr und hoben den Haftbefehl gegen Mzoudi auf. Sie handelten nach dem Rechtsgrundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten, denn sie konnten die Glaubwürdigkeit der Aussage von Binalship nicht überprüfen. Bis heute bleibt der wichtigste Zeuge, Ramzi Binalship, für die Öffentlichkeit verschwunden. Von der Haftentlassung erhofft sich die Verteidigung den nötigen Rückenwind für ihren Antrag auf Freispruch. Die Verteidigung sieht keine Beweise für die Schuld Mzoudis: Er habe keine Kenntnis von den geplanten Attentaten am 11. September gehabt und ist folglich nicht der Beihilfe zum Mord an über 3000 Menschen schuldig, so lautet ihre Schlussfolgerung.
Dabei wird nicht bestritten, dass Mzoudi mit den späteren Todespiloten befreundet war, dass er für sie Wohnungen angemietet hat, dass er finanzielle Hilfe geleistet hat, dass er in Afghanistan in einem Lager der Al Kaida war: Aber, all das seien normale oder "neutrale" Gefälligkeiten unter islamischen Brüdern gewesen.
"Das ist zu wenig"
Die Ankläger der Bundesanwaltschaft haben in ihrem Plädoyer unterstellt, dass die enge Freundschaft Mzoudis mit den Mitgliedern der Hamburger Terrorzelle für eine Mitschuld ausreiche. Nein, sagt dazu Mzoudis zweiter Verteidiger, Michael Rosenthal: "Alles, was die Bundesanwaltschaft hat, ist, dass er dicht dran war bei den anderen. Und alles Weitere ist daraus abgeleitet: Das ist zu wenig."
Demgegenüber blieben die Bundesanwälte und die Nebenkläger bei ihrer Forderung nach der Höchststrafe von 15 Jahren für den Angeklagten. Nach ihrer Überzeugung war Mzoudi in die Verschwörung eingeweiht. Es ist nicht vorstellbar, dass der Angeklagte nichts gewusst hat, sagte der Ankläger, Bundesanwalt Walter Hemmberger.
Ausgang offen
Ob sich die Richter des Hanseatischen Oberlandesgerichtes dieser Überzeugung anschließen, wird von den meisten Prozessbeobachtern bezweifelt. Durch die vorzeitige Haftentlassung des Angeklagten Mzoudi haben sich die Richter eher einem Freispruch zugeneigt. Jetzt bleibt abzuwarten, was der neue Zeuge der Anklage an Belastendem vorbringt. Das Urteil wird aber auf jeden Fall auf großes Interesse auch im Ausland treffen. Der Prozess ist in den internationalen Kampf gegen den Terrorismus hinein gezogen wurden. Egal wie es ausgeht: Es werden Zweifel bleiben, sagt Verteidiger Rosenthal. Die Schuld daran gibt er den USA: Sie hätten durch ihre beharrliche Weigerung, Zeugen oder Zeugenaussagen zur Verfügung zu stellen, die Wahrheitsfindung nicht gefördert, sondern behindert.