Moderne Kunst in der Provinz - Die documenta
29. Mai 2009"Um uns waren Ruinen, und wir suchten etwas, was die Zerstörung überwinden und aufheben konnte", schreibt der in Kassel geborene Künstler und Pädagoge Arnold Bode. Am 15. Juli 1955 öffnet in Kassel die erste documenta ihre Pforten, für die noch junge Bundesrepublik ein kulturpolitisches Ereignis. 10 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus gibt es in Deutschland erstmals wieder moderne Kunst zu sehen. Insgesamt werden 670 Werke von knapp 150 Künstlern, darunter Klee, Kandinsky, Picasso, Chagall und Beckmann, ausgestellt.
Der Maler, Möbeldesigner und Ausstellungsarchitekt Arnold Bode ist der unermüdliche und geniale Organisator. Der NS-Staat hatte ihn mit Berufsverbot belegt. Nach 1945 will Bode wieder künstlerisch tätig sein, am liebsten in seiner Heimatstadt Kassel. Die Wahl für das Ausstellungsgebäude fällt auf das Fridericianum am Kasseler Friedrichsplatz, einen Prachtbau, der durch die Bomben des Zweiten Weltkriegs teilweise zerstört ist. Zunächst soll die documenta ein Anhängsel zur Bundesgartenschau sein, mit Bildender Kunst als Begleitprogramm.
Der Hunger nach Kunst
Was die Ausstellung zeigt, ist eine großangelegte Bilanz der Moderne: Skulpturen, Zeichnungen und Gemälde aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem aus dem Bereich der im NS-Staat als entartet diffamierten Kunst. Das Museum of Modern Art in New York (MoMA) schickt Picassos geheimnisvolles Mädchen vor dem Spiegel, die französischen Nationalmuseen leihen kubistische Gemälde. Rückblickend erklärt Bode den Erfolg der documenta von 1955 mit dem internationalen medialen Echo, aber auch den vielen Besuchern, die "durstig und hungrig waren, das zu sehen, was damals in der furchtbaren Zeit (die nationalsozialistische Diktatur, A.d.R.) nicht zu sehen war." Die erste documenta lockt fast 135.000 Besucher an. Das ist ein sensationeller Erfolg. Und auch die Fachwelt kommt in Scharen in die hessische Provinz nach Kassel.
Die documenta soll Dokumentation sein und ihrer lateinischen Wortbedeutungen entsprechend "lehren" und "Geist" in sich tragen. Dieser hohe Anspruch wird im Kunstnamen "documenta" deutlich. Dass daraus eine Erfolgsgeschichte werden soll, kann 1955 niemand erahnen. 1959 folgt die Fortsetzung. Nach und nach wächst auch Zahl der Kunstwerke und Künstler, neue Ausstellungshäuser kommen hinzu. Längst ist die Werkschau zeitgenössischer Kunst in Serie gegangen.
Die Diva und ihre Skandale
Seit 1972 wechseln die künstlerischen Leiter der documenta und prägen die Schau ebenso wie die Künstler. 2007 findet die mittlerweile zwölfte documenta mit über vier Millionen Besuchern statt. Eine stolze Bilanz, aber auch eine chronique scandaleuse: Mal verzeichnet die documenta ein Haushaltsdefizit, dann wieder glauben Regionalpolitiker die Schau sei lediglich Entertainment für intellektuelle Eliten und wollen sie abschaffen. Von der documenta-Leitung abgewiesene Künstler, die nicht ausstellen dürfen, ziehen sogar vor Gericht, um ihre Anwesenheit in den Ausstellungshallen durchzusetzen.
In Kassel spiegeln sich stets die Stile und Tendenzen der Zeit: Hier sind der abstrakte Expressionismus und die knallbunte Popart zu sehen, aber auch die Minimalart. Das Publikum kommt mit der fotorealistischen Malerei in Kontakt, staunt über raumgreifende Installationen, Fotografie und Video als künstlerische Medien. Dabei stellt sich die documenta den sozialen und politischen Fragen ihrer Zeit. Sie sei eine Bildungsveranstaltung, sagt Roger M. Buergel, Leiter der documenta 12: "Die documenta ist eine Alternative zur flachen, seichten Information, mit der wir gewöhnlich abgespeist werden."
Autor: Michael Marek
Redaktion: Ramon Garcia-Ziemsen