"Es ist nicht einfach, Präsident zu sein…"
10. Oktober 2019Der bolivianische Präsident Evo Morales regiert seit 13 Jahren. Dies ist ein Rekord in einem Land, das einst von politischer Instabilität geprägt war. Laut Verfassung - die Morales selbst vor zehn Jahren in Kraft gesetzt hat - darf der Staatschef aber nur zwei Amtszeiten in Folge absolvieren. 2016 scheiterte Morales mit dem Versuch, sich per Referendum das Recht auf einen weiteren Verbleib im Amt zu sichern. Seine Regierung erkannte das Abstimmungsergebnis jedoch nicht an. Das Verfassungsgericht, das mit Morales-Getreuen besetzt ist, urteilte anschließend, dass es ein Menschenrecht sei, sich um seine Wiederwahl zu bemühen. Der aussichtsreichste Gegenkandidat von Morales ist Carlos Mesa, der für eine bürgerliche Allianz antritt und von 2003 bis 2005 schon einmal Präsident Boliviens war.
Zwei Wochen vor der Präsidentenwahl in Bolivien haben Hunderttausende gegen Morales demonstriert. Sie werfen ihm eine zu zögerliche Haltung bei der Bekämpfung von Bränden im Amazonas-Gebiet vor.
Deutsche Welle: Herr Präsident, was ist aus den Bränden in Chiquitania, im östlichen Bolivien geworden?
Evo Morales: Die Rechte will aus dem Thema politisches Kapital schlagen. Zyklische Brände gab es schon immer, auch schlimmere.
Die Opposition sagt, dass Sie sie sogar geschürt haben.
Die Brandstiftung begann in Tarija (südlichste Großstadt Boliviens, d. Red.). Und ich habe ein riesiges Löschflugzeug, den Supertanker von Boeing geschickt, um den Brand zu bekämpfen. Wir haben es geschafft und es war ein Riesen-Erfolg. Dann gab es wieder eine Brandstiftung. Die Behörden in Tarija wollten aber nicht, dass ich das Flugzeug schicke, weil sie meinten, es würde mir politisch nutzen. Stellen Sie sich diese Kleinlichkeit der Rechten vor!
Am 21. Februar 2016 stimmten 51 Prozent der Bevölkerung gegen eine Verfassungsänderung, die eine unbefristete Wiederwahl und Ihnen eine vierte Amtszeit erlaubt hätte. Nach einem Urteil des Verfassungsgerichts stehen Sie jetzt doch zur Wahl. Die Opposition argumentiert, dass Ihr viertes Mandat unrechtmäßig wäre. Es gibt auch Petitionen...
Dafür ist keine Zeit. Die Wahl ist in zwei Wochen. Was war denn das Ziel des Referendums? Es sollte die Verfassung geändert werden. Da wir nicht gewonnen haben, wurde die Verfassung nicht geändert. Aber ein anderer Teil der Verfassung sagt, dass ihr Inhalt internationalen Normen unterliegt. Hier kommt die Auslegung des Verfassungsgerichts ins Spiel. Und die ist noch nicht mal neu in Lateinamerika oder in der Welt: In Costa Rica und Honduras wurde auch schon ähnlich entschieden. Internationales Recht geht vor. Was kann man den dagegen einwenden?
Die Opposition stützt sich auf das Referendum, bei dem ein klares "Nein" gewonnen hat.
Wenn sie an den Präsidentenwahlen teilnimmt, dann erkennen sie auch meine Kandidatur an. Sollte meine Kandidatur illegal oder verfassungswidrig sein, würden sie doch nicht teilnehmen.
Ich habe den aussichtsreichsten Kandidaten der Opposition, Carlos Mesa, interviewt. Er sagt, dass er nur teilnimmt, weil er Ihnen diese Wahl nicht schenken will.
Es ist ja schon bekannt, dass Mesa ein Handlanger des US-Imperiums ist, aber jetzt belügt er auch das Volk. Von was für einer Moral, Ethik oder Transparenz redet er denn? Er wird mit ziemlicher Sicherheit das Land nach der Wahl verlassen und gar keine Zeit mit der Arbeit in der Opposition verschwenden. Ich bin sicher, dass er den Auftrag der US-Botschaft, seine Kandidatur bei dieser Wahl einzureichen, schon längst bedauert. Der wahre Anführer der Opposition wird Óscar Ortiz sein.
Sind Alternativen etwas Schlechtes?
Dann sollen sie sich präsentieren. Sollte meine Wirtschaftspolitik so schlecht sein, dann wird doch jemand anderes gewinnen. In Bolivien gab es doch keine politische Stabilität. In den fünf Jahren vor meiner ersten Amtszeit gab es fünf Präsidenten. Jedes Jahr einen! Jetzt wird jemand wie ich, der keinen akademischen Hintergrund hat, bald 14 Jahre an der Macht sein. Und wenn wir gewinnen, fast 20 Jahre. Das ist so, weil unser Programm aus dem Volk kommt und nicht vom US-Imperium.
Befürchten Sie nicht, dass der Personenkult die Zukunft Ihrer politischen Bewegung beeinflussen könnte?
Gestern hat mich jemand als "mächtigsten Mann Boliviens" bezeichnet. Das hat mich wütend gemacht. Ich akzeptiere und teile diesen Begriff überhaupt nicht. Wenn ich ein Faktor der Einheit sein will, ist es notwendig, für ein Gleichgewicht der Kräfte zu sorgen: zwischen Ost und West, zwischen Rechts und Links und sogar innerhalb unserer politischen Bewegung.
Wird es Ihre letzte Amtsperiode sein, wenn Sie diese Präsidentenwahl gewinnen?
Ich bin nicht aus dem Hochland gekommen, um ein Anführer zu werden, aber ich wurde es. Danach sollte ich Präsident werden. Ich habe meinen Dienst geleistet. Politik ist die Wissenschaft des Dienstes am Volk. Es ist eine Anstrengung, ein Engagement und ein Opfer für die Bürger. In diesem Rahmen stehe ich mit etwas mehr Erfahrung bereit für weitere fünf Jahre.
Aber Sie sagen nicht, ob dies Ihre letzte Amtsperiode wäre...
Es ist meine letzte Amtsperiode. Ich möchte Ihnen ganz aufrichtig sagen, dass es nicht einfach ist, Präsident zu sein.
In der Hauptstadt sieht man Graffitis mit "Mesa = Macri" (Mauricio Macri ist Präsident Argentiniens). Glauben Sie, dass Bolivien, falls die Opposition gewinnt, in eine ähnliche politische und wirtschaftliche Krise wie Argentinien geraten könnte?
Carlos Mesa wird sich erneut der Weltbank und dem IWF und damit auch den USA unterwerfen. Es geht nicht darum, etwas zu "argentinisieren". Wenn sich das Land unterwirft, schlägt die neoliberale Stunde. Im Wahlprogramm von Mesa ist von "Rationalisierung" und von "Umstrukturierung der öffentlichen Investitionen" die Rede. Anders gesagt: Strukturanpassung. Das ist die Botschaft der internationalen Finanzorganisationen.
Die Opposition befürchtet, dass sich Bolivien im Fall Ihres Sieges in ein zweites Venezuela verwandeln könnte. Sprechen Sie eigentlich mit dem venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro?
Ja, wir reden miteinander. Seien wir doch mal ehrlich: Maduro hat die Aggression der USA und der lateinamerikanischen Rechten zurückgeschlagen. Wie in der Kolonialzeit wollten sie von außen einen Präsidenten bestimmen. Ein Staatsstreich oder eine Intervention würde in Gewalt münden. Ich kenne ein wenig das venezolanische Militär und die Maduro-Anhänger. Die würden sich wehren. Wir müssen den Dialog suchen.
Im Oktober gibt es drei Wahlen in der Region Bolivien, Argentinien und Uruguay. Was erwarten Sie?
Obwohl die progressiven und linken Regierungen in einigen Ländern auf dem Rückzug waren, habe ich jetzt das Gefühl, dass viele Menschen diese Entwicklung bereuen. Ich hoffe sehr, dass die sozialen Kräfte in diesen Ländern die wahren inneren und äußeren Feinde erkennen, sodass Lateinamerika wieder energisch seine Unabhängigkeit und vor allem die Würde und Identität seiner Völker verteidigt.