Mo.s.e soll Venedig schützen
14. November 2019Die italienische Regierung hat nach den verheerenden Überschwemmungen in Venedig den Notstand ausgerufen, um Finanzhilfen schneller freigeben zu können. Dass es Venedig wieder einmal schwer getroffen hat, ist dabei für Fachleute nicht überraschend. So regelmäßig wie der Markusplatz in Venedig vom "Acqua alta", vom Hochwasser also, überspült wird, so regelmäßig diskutiert Italien über Mo.s.e, einen Hochwasserschutzwall, an dem seit Jahrzehnten geplant und gebaut wird. Die italienische Abkürzung Mo.s.e steht für "experimentelle elektromagnetische Module". Das sind 78 versenkbare Stahlwände, die in die drei Zugängen zur Lagune von Venedig eingebaut werden und Sturmfluten zurückhalten sollen. Wie der biblische Mose soll das größte Infrastrukturprojekt Italiens das Meer teilen können, sagen die Befürworter. Eines Tages.
Das Projekt wurde bereits in den 1960er Jahren erdacht und in den 1990er Jahren konkret geplant. 2003 tat dann der damalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi den ersten Spatenstich. Seither ist der Bau des gewaltigen Sperrwerks, das seine Vorbilder in der Hafenstadt Rotterdam und an der Themse bei London hat, immer wieder von Verzögerungen, Kostenexplosionen, Baustopps und Korruptionsskandalen begleitet gewesen.
Sieben Jahre Verzögerung - Stand heute
Ursprünglich war die Inbetriebnahme für 2014 vorgesehen. Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte versprach am Mittwoch bei einem Besuch im überfluteten Venedig, dass Mo.s.e nun wahrscheinlich im Frühjahr 2021 in Betrieb gehen soll. "92 oder 93 Prozent sind fertiggestellt", sagte Conte.
Die gelben Fluttore liegen fast alle in ihrer Betonverankerung am Grund der Lagune. Derzeit wird die Software und Steuerungselektronik getestet. Kurz vor dem aktuellen verheerenden Hochwasser war ein weiterer Test angesetzt, der aber wegen technischer Unstimmigkeiten abgesagt wurde. "Es ist viel Geld ausgegeben worden. Es gab so viele Kontroversen und auch Skandale. Aber wenn wir uns alles anschauen und das öffentliche Interesse im Auge haben, dann müssen wir zu der Entscheidung stehen, das Projekt jetzt auch abzuschließen", sagte der parteilose Regierungschef nach Besuchen in überfluteten Stadtteilen.
Umstrittene Rettung
Der gegenwärtige Bürgermeister von Venedig, Luigi Brugnari, ist ein klarer Befürworter des Großprojekts Mo.s.e. "Wäre es bereits fertig gewesen, wäre uns diesmal das Schlimmste erspart geblieben", sagte Brugnari am Dienstag als das Wasser mit 187 Zentimetern über dem Durchschnitt den höchsten Stand seit 1966 erreicht hatte.
In der Vergangenheit gab es aber auch Bürgermeister, die gegen das Projekt gearbeitet haben. Auch Umweltschützer warnen, dass die Fluttore das Ökosystem der Lagune empfindlich stören würden. Sind die Tore geschlossen, wird der natürliche Wasseraustausch unterbrochen. Der Sauerstoffgehalt des Wassers würde rund um Venedig stark absinken. Die Anzahl der Schließungen und die Dauer der Schließungen müssten deshalb auf wenige Tage im Jahr beschränkt werden.
Die Betreibergesellschaft von Mo.s.e, das Konsortium "Neues Venedig", gibt an, dass die Tore immer nur für einige Stunden während der akuten Fluten geschlossen werden müssten. Allerdings sei die Tendenz wegen der steigenden Zahl von kritischen Wasserständen steigend, sagte eine Sprecherin des Konsortiums.
Der Wasserbau- und Hydraulikprofessor Luigi D'Alpaos warnte schon vor Jahren, dass angesichts des steigenden Meeresspiegels das Sperrwerk wochenlang geschlossen sein müsse, um effektiv zu sein. Das vertrage sich aber nicht mit den ökologischen Anforderungen, legte D'Alpaos in der Zeitschrift "spektrum" dar. Der Klimawandel könnte dazu führen, dass der Meerespiegel in der Lagune in einigen Jahrzehnten um einen halben Meter ansteigt, befürchten Umweltschützer.
Natürliches Absinken und Kreuzfahrer
Außerdem gibt es noch andere Faktoren, die die weltberühmte Lagunenstadt anfällig für Fluten machen. Die Stadt, die auf Holzpfählen in Sand und Schlamm gebaut wurde, sinkt langsam ab. Seit 1897 soll Venedig so 25 Zentimeter an Höhe eingebüßt haben. Es gab Überlegungen die ganze Stadt mit einem Betonfundament zu unterfüttern oder mit künstlichem Grundwasser, das in den Untergrund gepumpt würde, wieder anzuheben. Doch diese Planungen wurden im Laufe der Jahre wieder verworfen. 2017 beschloss die Stadtverwaltung, ein System aus kleinen, teils mobilen Dämmen mit Pumpen zu bauen, um wenigstens den Markusplatz und den Dom mit seinen empfindlichen Bodenmosaiken während der normalen jährlichen Überflutungen trocken zu halten. Doch fertig gebaut ist auch dieses System bis heute nicht.
Die zunehmende Zahl von Kreuzfahrtschiffen und der Schiffsverkehr insgesamt belasten die Stadt Venedig und die umliegenden Inseln zusätzlich. Der Wellengang nagt an den Holzpfählen der Häuser. Die notwendigen tiefen Fahrrinnen leiten mehr Wasser in die Lagune. Zudem versandet die Lagune auf ganz natürlichem Wege. Sie wird durch Sedimente immer flacher, was bei Sturmfluten dazu führt, dass die vom Wind aufgepeitschten Wassermassen schneller über die Ufer gehen. Überschreitet der Hochwasserpegel die Marke von 110 Zentimetern ruft die Stadtverwaltung die Warnstufe "Orange" aus. Aus den Statistiken der Stadt Venedig kann man ablesen, dass Orange heute viermal öfter ausgerufen werden muss als noch vor 40 Jahren.
Hohe Kosten für Bau und Betrieb
Wenn das Mo.s.e.-Bollwerk eines Tages funktioniert, wird es mindestens sechs bis sieben Milliarden Euro gekostet haben statt der ursprünglich veranschlagten 1,36 Milliarden Euro. Parallelen zum Berliner Großflughafen drängen sich auf, der auch durch ständige Verzögerungen Schlagzeilen macht. Im Juni 2014 erfuhr Mo.s.e den bis dahin schlimmsten Schlag: Venedigs Bürgermeister Giorgio Orsoni wurde verhaftet und später zusammen mit Mittätern wegen der Veruntreuung von einer halben Milliarde Euro im Zusammenhang mit dem Megaprojekt verurteilt. Ein Baustopp folgte. Die Stahltore setzten Rost an. Erst Jahre später konnten sie wieder bewegt werden. Unklar ist, wie die laufenden Unterhaltskosten von 20 bis 100 Millionen Euro finanziert werden sollen.