Moskau erkennt Ukraine-Wahl unter Vorbehalt an
28. Oktober 2014Das russische Außenamt hat erklärt, dass die Wahlen in der Ukraine stattgefunden hätten. Die meisten Medien haben diese Erklärung fälschlicherweise als offizielle Anerkennung des Wahlergebnisses interpretiert. Doch gerade das scheinen die russischen Behörden nicht tun zu wollen. Mit einem solchen Parlament kann man arbeiten - das ist bislang das einzige wahre Signal, das aus Moskau gekommen ist. Der Kreml äußert sich nicht eindeutig und lässt sich somit Freiraum für politische Manöver.
Für den Kreml spricht das Außenamt
Als erster meldete sich der stellvertretende Außenminister Grigorij Karasin. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Interfax sagte er: "Wir warten die offiziellen Ergebnisse ab. Noch gibt es widersprüchliche Informationen. Aber schon jetzt ist klar, dass die Wahlen trotz eines eher rauen und schmutzigen Wahlkampfes stattgefunden haben."
Die Position des russischen Außenministeriums demonstrieren jedoch am besten zwei Erklärungen seines Chefs, Sergej Lawrow. In der ersten kommentiert er die bereits stattgefundenen Wahlen zum Obersten Rat der Ukraine, und in der zweiten die bevorstehende Wahl zu den Parlamenten der sogenannten "Volksrepubliken Luhansk und Donezk".
"Offenbar haben die Wahlen stattgefunden, auch wenn nicht auf dem gesamten Territorium der Ukraine. Ich denke, dass wir die Ergebnisse anerkennen werden. Uns ist sehr wichtig, dass es in der Ukraine endlich eine Staatsmacht gibt, die sich nicht untereinander bekämpft, die Ukraine nicht mal nach Westen, mal nach Osten zerrt, sondern sich mit den wirklichen Problemen des Landes befasst und darüber nachdenkt, wie die Einheit des Landes gewährleistet werden kann", sagt Lawrow in einem Interview mit dem Fernsehsender Life News.
Zugleich ist Lawrow bereit, die Wahl der Parlamente und der Exekutivgewalt in den sogenannten "Volksrepubliken Luhansk und Donezk" schon jetzt anzuerkennen, obwohl sie noch nicht stattgefunden haben. "Wir sind der Ansicht, dass dies einer der wichtigsten Bestandteile der Minsker Vereinbarungen ist. Wir erwarten, dass die Wahlen wie vereinbart stattfinden, und wir werden natürlich die Ergebnisse anerkennen", sagt der russische Außenminister im selben Interview selbstbewusst.
Der Preis für einen Waffenstillstand im Gaskrieg
Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Russland will die ukrainische Staatsmacht so lange wie möglich als nur teilweise legitim betrachten und die "Volksrepubliken Luhansk und Donezk" ihr entgegensetzen. Dies gibt Moskau freie Hand in den Regionen Donezk und Luhansk. Eine solche Methode wurde bereits im Verhältnis zu Petro Poroschenko angewandt, der in ein und derselben propagandistischen Nachrichtenmeldung vom russischen Fernsehen zugleich als "Chef der Kiewer Junta" und als "Präsident der Ukraine" bezeichnet werden kann.
Nicht auszuschließen ist, dass eine erfolgreiche Durchführung von Wahlen im Kreml als Voraussetzung dafür betrachtet wird, dass die EU die ukrainischen "Gas-Schulden" gegenüber Russland bezahlt. In diesem Fall würde Moskau wahrscheinlich eine maximal weiche Politik gegenüber dem neuen Parlament und der künftigen Regierung der Ukraine verfolgen, egal wer sie anführen würde - zumindest solange, bis es gelingt, ein Gas-Abkommen zwischen Moskau, Kiew und Brüssel zu erreichen.
Der Winter könnte in der Ostukraine heiß werden
Schwerer vorherzusagen ist, was nach dessen Unterzeichnung passieren würde. Mit dem Wintereinbruch wird die schwierige wirtschaftliche Lage in der Ukraine dem Kreml wohl ermöglichen, mit den inneren Widersprüchen zwischen den Mitgliedern der künftigen Regierungskoalition zu spielen. Klar ist, dass sich niemand im Kreml von den "Volksrepubliken Luhansk und Donezk" lossagen will, was auch Lawrow in seinem Interview betont. Entgegen den positiven Erwartungen vieler Beobachter könnte sich die Situation im Osten der Ukraine immer noch drastisch verschlechtern.
Nicht auszuschließen ist sogar, dass die Kampfhandlungen in vollem Maße wieder aufgenommen werden. Dass die Machthaber der selbsternannten "Volksrepubliken Luhansk und Donezk" nicht mehr von einem unvermeidlichen Mangel an Treibstoff und Lebensmitteln im Winter reden, bedeutet nicht, dass sich die Probleme von selbst gelöst haben. Die humanitäre Hilfe aus Russland reicht eindeutig nicht, um die schon stark zurückgegangene Bevölkerung von Donezk und Luhansk zu ernähren. Ressourcen gibt es aber in den Nachbarregionen, die unter der Kontrolle der Regierung in Kiew sind. Die "Volksrepubliken Luhansk und Donezk" könnten versuchen, an sie heranzukommen.
Ist Putins Wort Gesetz?
Wird das passieren? Noch ist es schwierig, das vorherzusehen. Früher konnte man sagen: "Lasst uns auf eine Erklärung von Wladimir Putin warten." Denn wenn der russische Präsident selbst die Ergebnisse der Wahlen zum ukrainischen Parlament anerkennen würde, dann könnte man davon ausgehen, dass es als genehmigt gilt, wenn Moskau Kurs auf eine Wiederherstellung normaler Beziehungen zu Kiew nimmt.
Allerdings hat die Ukraine-Krise gezeigt, dass jetzt in Russland nicht einmal eine Erklärung des Staatsoberhaupts als endgültig betrachtet werden kann. Sie kann jederzeit von ihm selbst, aber auch von seinem Pressedienst korrigiert werden, abhängig davon, was dem Kreml in dem Moment als vorteilhaft erscheint. Das könnte eine vollständige Anerkennung der neuen ukrainischen Regierung sein, aber auch das Gegenteil, sowie die Bereitschaft, die "Volksrepubliken Luhansk und Donezk" zu unterstützen, wenn diese im Winter in vollem Maße die Kampfhandlungen im Osten der Ukraine wieder aufnehmen würden.
Ivan Preobrazhensky ist Politologe und Koordinator des Projekts "Moskauer Polit-Klub". Er ist ständiges Mitglied des deutsch-russischen Forums "Petersburger Dialog" sowie des russisch-polnischen Experten-Diskussionsvereins "PL-RU".