KGB-Archive
11. November 2011Einige postsowjetische Länder haben geheime Archive aus der Sowjetzeit geöffnet, andere nicht. Ohne Zustimmung der anderen GUS-Partner sollen aber künftig keine sowjetischen Geheimakten mehr zugänglich gemacht werden. Das sieht ein Abkommen vor, das im Oktober während des GUS-Gipfels in Sankt Petersburg unterzeichnet wurde - vorerst nur von Russland, Belarus, Armenien, Tadschikistan und Usbekistan, wie DW-WORLD.DE beim GUS-Exekutivkomitee erfuhr. Pressesprecher Wladimir Nikanurow sagte, andere GUS-Länder könnten dem Abkommen später beitreten.
Moskau will den Ton angeben
Der russische Historiker Nikita Petrow ist überzeugt, dass Moskau mit dem Abkommen den anderen GUS-Staaten seinen Umgang mit den sowjetischen Archiven aufzwingen wolle. "Die einzige richtige Herangehensweise soll die russische sein", so der KGB-Forscher. In erster Linie gehe es um Dokumente über die Massen-Repressionen in der Sowjetunion.
Eine gewaltige Anzahl von Akten, teilweise noch aus den 1920er Jahren, sei unter Verschluss. Das sei gesetzwidrig, so Petrow. Die russische Gesetzgebung sehe 30 Jahre als maximale Frist zur Geheimhaltung von Dokumenten vor, bei Geheimdienstakten 50 Jahre. "Russland missachtet seine eigenen Gesetze und will, dass die anderen postsowjetischen Staaten genauso vorgehen", so der Wissenschaftler.
"Die russischen Regelungen behindern die Forschung. Es gibt immer mehr Einschränkungen, immer weniger Dokumente werden zugänglich gemacht", bedauert Petrow. Gerade in den Moskauer Archiven würden aber die für Historiker wertvollsten Dokumente über die Verbrechen des Sowjet-Regimes lagern. Es sei ein großer Verlust für die russischen Forscher, dort nicht arbeiten zu können. Deswegen sei es für sie sehr wichtig, zumindest Zugang zu Archiven in Kasachstan oder in der Ukraine zu haben.
Gefahr für Holodomor-Forschung
Moskaus Vorstoß, einen einheitlichen Umgang mit den sowjetischen Archiven zu erreichen, geht nach Ansicht des russischen Historikers Petrow auf die vor allem unter dem ehemaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko vorangetriebene Erforschung der großen Hungersnot von 1932/33 in der Ukraine, auch Holodomor genannt, zurück. Ukrainische Wissenschaftler betonen, dass es sich um eine systematische, vom Stalin-Regime organisierte Hungersnot gehandelt hatte, der Millionen Menschen zum Opfer gefallen waren.
"Wenn die Ukraine das Petersburger Abkommen unterzeichnet, wird sie den Zugang auch zu bereits veröffentlichten Dokumenten wieder sperren müssen, insbesondere über den Holodomor", warnt Petrow. Auf Nachfrage von DW-WORLD.DE, ob die Ukraine dem Abkommen beitreten werde, nahm das Außenministerium in Kiew bislang nicht Stellung. Auch die ukrainische Regierung schweigt auf entsprechende Anfragen ukrainischer Historiker und Menschenrechtler.
Spürbare Einschränkungen
Aber auch ohne die Unterzeichnung des Abkommens habe sich der Umgang mit den sowjetischen Archiven in der Ukraine bereits verändert, glaubt Wolodymyr Wjatrowytsch. "Nach der Machtübernahme durch Präsident Viktor Janukowitsch wurde die systematische Veröffentlichung von Dokumenten über die Verbrechen des Sowjet-Regimes faktisch gestoppt", beklagt der ukrainische Historiker, der zwischen 2008 und 2010 das Archiv des Sicherheitsdienstes der Ukraine leitete. In dieser Zeit wurden Tausende KGB-Dokumente über den Holodomor und die ukrainische Nationalbewegung zugänglich gemacht.
Forscher fürchten, dass die Archive der Sicherheitsdienste aller ehemaligen Sowjetrepubliken mit Ausnahme der baltischen Staaten nach und nach für die Forschung geschlossen werden könnten. Der russische Historiker Petrow fordert deswegen seine ukrainischen Kollegen auf, mit viel Lärm zu verhindern, dass Kiew das Petersburger Archiv-Abkommen unterzeichnet. Eine unvoreingenommene Sicht auf die sowjetische Vergangenheit stehe auf dem Spiel.
Autoren: Eugen Theise / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Bernd Johann