Motive für Freilassung von Ai Weiwei unklar
24. Juni 2011Der am Mittwochabend (22.06.2011) freigelassene chinesische Künstler Ai Weiwei verbrachte die erste Nacht nach seiner Freilassung bei seiner Familie. Gegenüber der Deutschen Welle sagte er, es gehe ihm gut. In einem kurzen Statement bedankte er sich bei seinen Unterstützern. "Ich bin den Internetnutzern und den Personen, die mir in den letzten Monaten so viel Aufmerksamkeit geschenkt haben, wirklich sehr dankbar." Er beneide die Leute, die das Internet nutzen können, so Ai Weiwei. "Ich kann zurzeit kein Internet nutzen und fühle mich eingeschränkt." In den nächsten zwölf Monaten dürfe er Peking nicht verlassen, sagte er. Ein längeres Interview lehnte er ab. Er sei auf Bewährung frei und könne daher nichts sagen.
Freilassung als versöhnliche Geste?
So plötzlich die Verhaftung Ai Weiweis war, so überraschend ist nun seine Freilassung. Da stellt sich die Frage, woher der plötzliche Sinneswandel der chinesischen Behörden kommt. Am Wochenende beginnt der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao seine Europareise. Unter anderem besucht er Berlin und London. Der Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin hält es für möglich, dass die Freilassung Ai Weiweis eine versöhnliche Geste der chinesischen Führung gegenüber den deutschen und britischen Gastgebern sein könnte. "Es ist absolut vorstellbar, dass Wen Jiabao so wenig wie möglich über den Fall Ai Weiwei sprechen möchte." Durch die Freilassung habe der Ministerpräsident eines der am meisten störenden Hindernisse bei seinem Besuch aus dem Weg geräumt, so Sandschneider.
In Deutschland war die Empörung über die Festnahme Ai Weiweis besonders groß. Unmittelbar nachdem Außenminister Westerwelle Anfang April in Peking eine von der Bundesregierung maßgeblich finanzierte Ausstellung über das Zeitalter der europäischen Aufklärung in Peking eröffnet hatte, war Ai Weiwei am Pekinger Flughafen festgenommen worden. Die Bundesregierung kritisierte die Festnahme scharf. In Deutschland wurden sogar Stimmen laut, die einen Abbruch der Ausstellung in Peking forderten.
Der China-Experte Roderic Wye von der britischen Denkfabrik "Chatham House" glaubt nicht, dass Ai Weiweis Freilassung etwas mit dem Europabesuch Wen Jiabaos zu tun hat. Die Motivation für die Freilassung liege innerhalb des politischen Entscheidungssystems der chinesischen Regierung. "Ich denke, sie haben gemerkt, dass es ihnen nichts nützt, ihn ohne irgendeine Erklärung einzusperren, vor allem nach der heftigen internationalen Kritik."
Keine vollständige Freiheit
Verschiedene Medien vermuten, dass der Fall Ai Weiwei einen Richtungsstreit innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas vor dem Führungswechsel der chinesischen Regierung im nächsten Jahr widerspiegelt. Möglicherweise konnten sich bei der Festnahme zunächst Hardliner innerhalb der Partei durchsetzen, den regierungskritischen Künstler mundtot zu machen. Inzwischen könnten liberalere Kräfte die Oberhand gewonnen haben. Die vollständige Freiheit hat Ai Weiwei jedoch nicht wiedererlangt. Es bestehe immer noch die reale Möglichkeit, dass Ai Weiwei wieder ins Gefängnis müsse, sagt Roderic Wye von Chatham House. "Er wurde bisher nicht komplett freigelassen. Er wurde nur unter eine spezielle Art von Hausarrest gestellt, bis es zu einem Urteil in einem Gerichtsprozess kommt."
Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Hong Lei sagte am Donnerstag (23.06.11) in Peking, die Verbrechen, die Ai Weiwei vorgeworfen werden, würden weiter untersucht. "Er darf seinen Wohnort nicht verlassen, er kann die Aussagen anderer Leute nicht beeinträchtigen, Beweise fälschen oder mit anderen kollaborieren, um falsche Geständnisse abzulegen", so Hong Lei. Die chinesischen Behörden werfen Ai Weiwei vor, in großem Umfang Steuern hinterzogen zu haben.
Autor: Christoph Ricking
Redaktion: Hans Spross/ Alexander Freund