Gail Halvorsen - Held der Luftbrücke erinnert sich
23. Juni 2008Die Stadt sollte buchstäblich ausgehungert werden: Am 24. Juni 1948 morgens um sechs Uhr ließ Josef Stalin die Autobahnen nach West-Berlin sperren. Der sowjetische Staatschef wollte die West-Alliierten zwingen, Berlin aufzugeben. Die Antwort war die Luftbrücke, die bedeutendste und größte humanitäre Luftoperation aller Zeiten. Vom 26. Juni 1948, als der erste offizielle Luftbrücken-Flug startete, bis zum 12. Mai 1949 wurden mit mehr als 270.000 Flügen Millionen Tonnen lebenswichtige Güter in die Westsektoren Berlins mit ihren zwei Millionen Einwohnern gebracht. Vor allem Lebensmittel und Kohle, aber auch das Material für ein komplettes Kraftwerk wurden eingeflogen.
Oberst Gail Halvorsen gehörte zu den Piloten, die die waghalsigen Einsätze durchführten. Der heute 87-Jährige war der erste, der damals auf eine ganz besondere Idee kam: Beim Landeanflug auf Tempelhof warf er Süßigkeiten aus dem Fenster, die an Taschentüchern festgebunden waren. So schwebten sie zu Boden – zur Freude der Berliner Kinder. Von den Berlinern wurden die Flugzeuge liebevoll "Rosinenbomber" genannt.
Drei Mal täglich Tempelhof
Schon als kleiner Junge war Halvorsen vom Fliegen fasziniert. 1920 in Salt Lake City im US-Bundesstaat Utah geboren, machte er mit knapp 21 Jahren seinen Flugschein. Im Juni 1942 meldete er sich zur Luftwaffe und steuerte Transportflugzeuge über den Süd-Atlantik.
Als es 1948 darum ging, den von der Außenwelt abgeschnittenen Westen Berlins zu versorgen, war er wieder mit dabei. "Berlin ist meine zweite Heimat, seit wir 1948/49 drei Mal pro Tag zwischen Westdeutschland und Tempelhof in Berlin hin und her geflogen sind", sagt Halvorsen.
"Operation Vittles" hieß die Versorgung Deutschlands aus der Luft. "Vittles" ist ein umgangssprachlicher Ausdruck für etwas zu essen. Die Berliner und die Deutschen, sagt Halvorsen, waren zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr die Feinde der Amerikaner: Der neue, gemeinsame Feind im Kalten Krieg war Stalin, der Staats- und Parteichef der Sowjetunion. "Die Menschen in Berlin, die er aushungern wollte, waren Frauen und Kinder. Als ich zum ersten Mal eine Ladung Mehl nach Berlin flog, sah ich, wie die Deutschen sich freuten und dass sie uns ansahen, als wären wir Engel aus dem Himmel", erinnert sich Halvorsen. "Von da an waren wir Freunde. Wir waren im gleichen Team."
Süßigkeiten an Fallschirmen
Doch Halvorsen begnügte sich nicht damit, die normalen Güter zu fliegen. Als er eines Tages im Juli 1948 am Rande des Flugfeldes Tempelhof Berliner Kinder sah, wollte er ihnen etwas geben – doch alles, was er dabei hatte, waren zwei Stück Kaugummi. Er brach sie in mehrere Teile – und war fasziniert von der Begeisterung und Zufriedenheit, die er damit auslöste. Das nächste Mal, versprach er den Kindern, würde er mehr mitbringen – und aus dem Flugzeug werfen.
Er knotete die Süßigkeiten an Taschentücher als kleine Fallschirme, damit sie sanft zur Erde fielen. Seine Kollegen machten es ihm nach - und bis zum Ende der Luftbrücke erhielten so tausende Kinder 20 Tonnen Schokolade, Kaugummi und andere Süßigkeiten. Es habe ihn beeindruckt, sagt er, dass die Kinder ihn damals nicht von sich aus um etwas gebeten hatten.
Symphonie der Luftbrücke
Halvorsen erzählt noch immer begeistert von seinen Flügen damals. Er verdanke es General William H. Tunner, der die Luftbrücke damals generalstabsmäßig plante, sagt Halvorsen, dass er die Aktion überlebt hat. "Es war eine Symphonie, wie Tunner gesagt hat. Jeder muss ein Instrument spielen. Die Köche, die Polizisten und die Flugzeugmechaniker. Denn ohne sie wäre kein Flugzeug in der Luft gewesen. Im Winter gab es nicht genug Hangars – also standen die Flugzeuge draußen, die Motoren nur mit einer Plane abgedeckt. Diese Jungs waren da draußen, ihre Finger froren fast an den Schrauben fest."
Von 1970 bis 1974 war Halvorsen Kommandant des US-Luftwaffenstützpunkts in Berlin-Tempelhof. Noch heute ist er als Botschafter im Sinne der Luftbrücke unterwegs, in den USA wie auch in Deutschland. Dass Tempelhof, heute der kleinste der drei Berliner Flughäfen, geschlossen werden soll, weiß er. Er ist dagegen. Für ihn ist Tempelhof "so etwas wie die Freiheitsstatue von Deutschland".