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Mubarak, die Toten und die Richter

Kersten Knipp12. April 2013

Der Prozess gegen Ägyptens Ex-Präsidenten Mubarak geht in die zweite Runde. Für den Angeklagten steht viel auf dem Spiel. Die Ägypter verfolgen das Verfahren mit Spannung - haben aber eigentlich andere Sorgen.

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Der ehemalige ägyptische Präsident Husni Mubarak während seines ersten Prozesses, 2.6. 2012 (Foto: AP)
Bild: AP

Wo kamen die Handwerker her, und vor allem: Warum kamen sie? Anfang April hatten sie das Gelände von Mubaraks seit rund zwei Jahren nicht mehr bewohnter Villa in Sharm-el-Sheikh betreten und das Gebäude in Schuss gebracht. Im nach der Revolution politisch immer noch hoch nervösen Ägypten machten sofort Gerüchte die Runde: Der ehemalige Präsident dürfte in seine Villa zurück, hieß es. Dort, so die Sorge, könnte er seinen Lebensabend dann doch noch genießen. Und das wollten die meisten Ägypter ihrem ehemaligen Präsidenten dann doch nicht gönnen.

Erst später bemerkten sie, dass ihre Sorgen grundlos waren. Denn in der Zwischenzeit hatte Generalstaatsanwalt Talaat Abdullah bereits ein neues Verfahren gegen Mubarak eröffnet. Darin geht es um die Veruntreuung von Staatsgeldern, die eigentlich für die Renovierung des Präsidentenpalastes vorgesehen waren. Ein Prozess um ein vergleichsweise geringfügiges Vergehen also, das aber zumindest juristisch und mehr noch symbolisch von höchster Bedeutung ist. Denn die neue Anklage sorgt zunächst für eines: Mubarak muss weiterhin in U-Haft bleiben. Aufgrund anderer, noch nicht abgeschlossener Verfahren hatte er bereits die letzten beiden Jahre in Untersuchungshaft verbracht. Das ägyptische Gesetz sieht aber vor, dass niemand länger als zwei Jahre in U-Haft bleiben muss.

Der ägyptische Generalstaatsanwaltr Talaat Abdullah (Foto: AFP)
Mubaraks Ankläger: Generalstaatsanwalt Talaat AbdullahBild: Getty Images

Verantwortung für 800 Tote

Zugleich ist dieser Prozess nur ein Übergang zu einer weiteren Verhandlung. In ihr wird eine Frage von ganz anderem Gewicht behandelt: nämlich die, welche Verantwortung er für den Tod von rund 800 Ägyptern zwischen Januar und Juli 2011 trägt - den Monaten der ägyptischen Revolution.

Im ersten Prozess hatte das Gericht vergleichsweise milde geurteilt. Es hatte Mubarak lediglich für schuldig befunden, seinen mit dem Präsidentenamt verbundenen Schutzpflichten nicht nachgekommen zu sein. Dafür war er zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Es sprach ihn aber von dem Vorwurf frei, von den Einsatzbefehlen, die dann zum Tod der Demonstranten führten, gewusst und sie damit gebilligt zu haben. Das Urteil war dann aber von einem Revisionsgericht aufgehoben worden.

Alles hängt jetzt davon ab, ob das Gericht neue Beweise zulässt. Diese Entscheidung ist die zentrale Frage, die über Mubaraks künfiges Schicksal entscheidet. Lehnen die Richter neue Beweise ab, dürfte sich das bereits erlassene Urteil bestätigen und rechtskräftig werden. Neue Beweise könnten im Hinblick auf die Todesfälle aber auch zu einer anderen Sichtweise führen: dass Mubarak von entsprechenden Befehlen gewusst, aber nicht eingegriffen hat. Damit, so Naseef Naeem, hätte er die Anordnungen implizit gebilligt. "Und das könnte dazu führen, dass er statt zu lebenslanger Haft zum Tode verurteilt wird", meint der Göttinger Jurist.

Dr. iur. Naseef Naeem Wissenschaftlicher Mitarbeiter Seminar für Arabistik / Islamwissenschaft (Foto: privat)
Naseef Naeem: "Prozess hat offenbar auch politischen Hintergrund"Bild: privat

Kritiker vermuten politische Motive

Unter Juristen ist vor allem der rechtliche Hintergrund der neuen Prozesse umstritten. Präsident Mursi habe im Jahr 2012 zwei verfassungsrechtliche Erklärungen unterschrieben, erklärt Naeem, der Experte für das Rechtsystem in der arabischen Welt ist. Diese Erklärungen sehen vor, dass die mit dem Tod der Demonstranten zusammenhängenden Straftaten im Falle einer neuen Beweislage noch einmal untersucht werden. Außerdem habe Mursi im November 2012 ein so genanntes Revolutionsschutzgesetz erlassen. "Darin steht explizit, dass alle Straftaten, die im Rahmen der ägyptischen Revolution 2011 von der Staatsgewalt begangen wurden, in einem neuen Prozess verhandelt werden müssen - und zwar auch dann, wenn es in diesen Prozessen bereits zu rechtskräftigen Urteilen gekommen ist", so der Rechtswissenschaftler.

Für bedenklich hält Naeem vor allem, dass der neue Prozess auch ein möglicherweise politisches Motiv hat: "Mursi hat in seinem Wahlkampf versprochen, dass das gegen Mubarak ausgesprochene Urteil revidiert werden soll. Das sehe ich durchaus kritisch."

Für Mubarak selbst wird es nun darauf ankommen, ob das Gericht neue Beweise zulässt oder nicht. Mubaraks Anwälte lehnen neue Beweise ab. Die Staatsanwaltschaft geht vom Gegenteil aus. Sie begründet ihren Standpunkt mit dem von Mursi erlassenen Revolutionsgesetz.

Ende einer Ära

Doch wie immer der Prozess ausgehen wird, die Ära Mubarak ist bereits Geschichte. Zwar sorgt auch dieses zweite Verfahren für einige Aufregung. Doch die Ägypter stehen längst vor ganz anderen Problemen. Die wirtschaftliche Lage des Landes ist katastrophal. Zugleich ringen die Bürger um die politische Identität des Landes. Während die einen Ägypten in ein islamisches Land verwandeln wollen, halten andere an seinem säkularen Charakter fest. Eine solche Lage, erklärt Naeem, dürfte auch die Bedeutung des bevorstehenden Verfahrens relativieren. "Ob dieser Prozess jetzt stattfindet oder nicht, ist für die derzeitigen Probleme Ägyptens völlig unerheblich."

Proteste gegen Mursi am zweiten Jahrestag von Mubaraks Rückritt, 11.2. 2013
Proteste gegen Mursi am zweiten Jahrestag von Mubaraks Rückritt am 11. FebruarBild: Reuters