Demokratie auf Eis
4. November 2007Der Staatschef setzte am Sonntag (04.11.2007) den Obersten Richter ab und schaltete unabhängige Fernsehsender ab. Im ganzen Land wurden Oppositionspolitiker und Anwälte verhaftet. Die USA kritisierten das Vorgehen Musharrafs, das Pentagon sagte jedoch die Fortsetzung der militärischen Zusammenarbeit zu.
Einen Tag nach der Verhängung des Ausnahmezustands hat die pakistanische Regierung die für Anfang nächsten Jahres geplante Parlamentswahl ausgesetzt. "Ich kann Ihnen kein genaues Datum nennen", sagte der stellvertretende Informationsminister Tariq Azeem am Sonntag auf die Frage nach der Parlamentswahl. Nach der bisherigen Planung sollte das jetzige Abgeordnetenhaus am 15. November aufgelöst werden, für die Neuwahl war ein Termin im Januar im Gespräch.
Vorläufige Verfassung
Musharraf begründete seine Entscheidung in einer Fernsehansprache mit der Bedrohung durch islamische Extremisten. Er warf dem Obersten Gerichtshof vor, der Regierung die Hände zu binden, da er die Gültigkeit seiner Wiederwahl noch nicht anerkannt habe. Das Gericht wollte in dieser Woche eine Entscheidung zu einer Klage der Opposition bekannt geben. Zu den ersten Anordnungen unter dem Ausnahmerecht gehörte die Absetzung des Obersten Richters Iftikhar Mohammed Chaudhry, der in den vergangenen Wochen immer mehr zum Gegenspieler Musharrafs geworden war.
Der Ausnahmezustand setzt eine vorläufige Verfassung an die Stelle der bestehenden Verfassung von 1973. Nur fünf der 17 Richter des Obersten Gerichtshofs fanden sich nach Presseberichten bereit, einen Eid auf das neue Grundgesetz abzulegen.
Verhaftungswelle
In der Hauptstadt Islamabad blockierten am Sonntag paramilitärischen Truppen die Zugänge zum Obersten Gerichtshof und zum Parlament. In anderen Teilen der Stadt herrschte gespannte Ruhe. Das am Samstagabend abgeschaltete Telefonnetz wurde wieder in Betrieb genommen. Im Fernsehen war aber allein der staatliche Sender noch zu empfangen.
Nach der Verhängung des Ausnahmezustandes sind bis zu 500 Menschen festgenommen worden. Das teilte Premierminister Shaukat Aziz am Sonntag mit. Zu den Opfern der Verhaftungswelle gehört der amtierende Vorsitzende der Pakistanischen Moslemliga (PML), Javed Hashmi. Er wurde zusammen mit zehn Beratern festgenommen, als er aus seinem Haus in der Stadt Multan trat. Musharraf habe die Justiz an sich gerissen, um seine "illegitime Herrschaft" zu sichern, sagte Hashmi bei seiner Festnahme vor Journalisten und fügte hinzu: "Er kann gegen die Empörung des Volks nicht überleben." Die PML ist die Partei des früheren Ministerpräsidenten Nawaz Sharif, der am 10. September unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem Exil abgeschoben wurde.
"Schwärzester Tag" in der Geschichte Pakistans
In Lahore wurde der Vorsitzende der Pakistanischen Menschenrechtskommission, Asma Jehangir, verhaftet. Außerdem wurden mindestens sechs Anwälte verhaftet, unter ihnen der Vorsitzende der Anwaltsvereinigung am Gericht von Multan.
Die Führerin der Pakistanischen Volkspartei (PPP), Benazir Bhutto, warf Musharraf vor, de facto das Kriegsrecht eingeführt zu haben. Dies sei der "schwärzeste Tag" in der Geschichte des Landes. Die frühere Regierungschefin eilte am Samstag von einem Besuch in Dubai nach Pakistan zurück. Sie war erst am 18. Oktober aus dem Exil zurückgekehrt. Dabei wurde ein Anschlag auf ihren Konvoi in Karachi verübt; mehr als 130 Menschen wurden dabei getötet.
Kritik und Besorgnis
Der Generalstaatsanwalt Malik Mohammed Qayyum wies den Vorwurf Bhuttos zurück. Von einem Kriegsrecht könne nicht die Rede sein, da der Ministerpräsident und das Parlament von den Maßnahmen des Ausnahmezustands nicht betroffen seien.
Die internationale Gemeinschaft reagierte mit Kritik und Besorgnis auf die Entwicklung in Pakistan. US-Außenministerin Condoleezza Rice rief am Sonntag in Jerusalem zu einer raschen Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung auf. Das US-Verteidigungsministerium erklärte allerdings, Musharraf solle weiterhin unterstützt werden. Pakistan sei ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den Terror, sagte ein Sprecher in Washington. Die EU-Kommission äußerte sich besorgt über die Entwicklung und rief Musharraf auf, an der angekündigten Parlamentswahl festzuhalten.