Musik auf dem Index
20. März 2013Rita W. glaubte ihren Ohren nicht zu trauen, als sie unangemeldet ins Zimmer ihres 16-jährigen Sohnes platzte. Was da aus den Lautsprechern dröhnte, klang wie übelste Pornografie, gepaart mit einem gewalttätigen Szenarium: "Vorsicht, du Bitch, wenn du nicht willst, dass dein Gehirn… auf fünf Bordsteine spritzt", grölen die Rapper Kollegah und Farid Bang ins Mikrofon - und das ist noch harmlos. "Reg' dich ab, Mama, das ist doch nur Spaß", verkündete Philipp und lachte. "Das darfst du doch nicht ernst nehmen. Das ist voll cool."
So cool immerhin, dass die beiden HipHopper aus Düsseldorf mit ihrem Album "Jung, Brutal, Gut-Aussehend 2" im Februar Platz 1 der deutschen, österreichischen und Schweizer Albumcharts eroberten. Im Fernsehen oder Radio machen sich Kollegah und Farid Bang allerdings rar; ihre Welt ist das Internet - und hier schaut sich auch Philipp regelmäßig die Videos der Proll-Rapper an.
Per youtube-Klick im Kinderzimmer
Dass ihr erstes Album der "Jung, Brutal, Gutaussehend"-Reihe von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) 2012 auf den Index gesetzt wurde, interessiert Philipp nicht, doch seine Mutter umso mehr. "Sämtliche Titel wirken verrohend und reizen zu Gewalttätigkeit und Verbrechen an", urteilte die Behörde damals. Die beiden Musiker sahen das eher gelassen: "Viele unserer Texte sind mit einem Augenzwinkern zu sehen. HipHop besteht aus Provokation und Übertreibung, das wissen unsere Fans genau einzuordnen."
Die Eltern dieser jugendlichen Fans sind sich da nicht so sicher. Wie Rita W. sind sie besorgt, was per youtube-Klick so alles im Kinderzimmer landet. In Zeiten des Internets, das die Kleinen meist viel besser beherrschen als ihre Erzeuger, ist eine gezielte Kontrolle schwer geworden. Besorgte Mütter und Väter können sich an das Jugendamt oder direkt an die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) wenden, wenn ein Liedtext ihnen suspekt erscheint. "Allerdings dürfen die Eltern selbst keinen Antrag stellen, einen Musiktitel auf den Index zu setzen", erklärt die Vorsitzende Elke Monssen-Engberding. "Das können nur Jugendämter oder Jugendhilfe-Organisation veranlassen. Und auch wir als Prüfstelle werden nicht von uns aus tätig, sondern erst dann, wenn ein Antrag vorliegt. Wir können ja nicht allein den ganzen Markt sichten."
Gewalt, Sex und Rechtsextremismus
Rund 1000 bis 1500 Verfahren fallen bei der BPjM jährlich an; das betrifft Videos, CDs, DVDs, Internet und Spiele. Als jugendgefährdend stuft die Prüfstelle nach offizieller Definition Medien ein, die "unsittlich sind, verrohend wirken, zur Gewalttätigkeit oder zum Rassenhass anreizen und Frauen oder Homosexuelle diskriminieren."
Lange waren den Medienwächtern die zweifelhaften Texte von Künstlern wie Sido, Fler oder Bushido, die es zur nationalen Berühmtheit schafften, ein Dorn im Auge. Heute ist es ruhig um die Provokateure geworden, doch der HipHop-Nachwuchs steht den prominenten Vorbildern mit heftigen Formulierungen in nichts nach: Frauenverachtende Reime und Gewaltfantasien sind an der Tagesordnung. Vor allem das Label Aggro Berlin schafft es mit seinen Rappern immer wieder auf die Indexliste der Bundesprüfstelle.
"Circa 20 Prozent der Indizierungen entfallen auf HipHop und Black Metal-Texte, aber fast 80 Prozent stammen aus der rechten Ecke", stellt Elke Monssen-Engberding fest; das sei in den letzten Jahren mehr geworden. "Die Lieder werden allerdings nicht indiziert, weil sie rechtextremes Gedankengut vermitteln, sondern weil sie den Nationalsozialismus verherrlichen oder verharmlosen und zur Gewalt gegen Ausländer aufrufen."
"Bullenschweine" im Visier
Linksextreme Bands finden sich eher selten auf dem Index wieder, weil sie diese Kriterien kaum erfüllen; allerdings landete 2011 die Hamburger Punkband Slime mit dem Lied "Bullenschweine" eben da. "Dies ist ein Aufruf zur Gewalt/ Bomben bau'n, Waffen klau'n/ Den Bullen auf die Fresse hau'n ..." Dieser Text fand keine Gnade vor der BPjM.
"Das ist ein einziger Aufruf zur Gewalt", befand Bundesprüfstellenleiterin Monssen-Engberding. Dass der Song erst 31 Jahre nach seinem Erscheinen auf der Liste erschien, ist allerdings ein Kuriosum. An der Bundesprüfstelle liegt es nicht, denn sie wird ja erst auf Antrag anderer Behörden aktiv.
Ungewollte Werbung?
Insgesamt 1328 Tonträger befinden sich aktuell auf der Index-Liste der BPjM, Titel also, die Jugendlichen nicht zugänglich gemacht werden. Sie dürfen weder in Geschäften noch im Internet-Versandhandel an Unter-18-Jährige verkauft werden, nicht im Radio gespielt und auf youtube veröffentlicht werden. Auch eine öffentliche Bewerbung ist verboten.
Bekannte Musikgrößen wie die Ärzte standen schon 1987 auf der Liste, wegen eindeutig zweideutiger Songs wie "Geschwisterliebe" oder "Claudia hat 'nen Schäferhund". Zwar brachen die Plattenverkäufe darauf ein, dafür waren die Konzerthallen voller denn je. Die Band spielte die Instrumental-Versionen der indizierten Songs, und die Fans sangen mit.
Von ungewollter Werbung möchte Elke Monssen-Engberding allerdings nichts hören. "Dieses Gefühl täuscht. Wenn unser Index eine verstärkte Weiterverbreitung mit sich brächte, wären die Firmen ja nicht so traurig über das Werbe- und Abgabeverbot."
Wandel in der Gesellschaft
Als Vorsitzende des BPjM muss man abgehärtet sein gegenüber all dem Schweinkram, der täglich über die Tische der Behörde kriecht. Doch auch die Hemmschwellen in der Gesellschaft sind deutlich gesunken. Worte wie "Ficken" oder "geil", die vor 30 Jahren noch die Sittenwächter auf den Plan gerufen hätten, regen heute niemanden mehr auf. Und so wurde schon 2004 auch die Indizierung der Ärzte-Songs aufgehoben, da die BPjM den Liedern im Rückblick eine "satirische Form" attestierte.
Vor dem Hintergrund dieses gesellschaftlichen Wandels erlischt ein Index automatisch nach 25 Jahren; und schon nach zehn Jahren dürfen Plattenfirmen eine Neubewertung ihres Produkts beantragen. Manche Bands wie Rammstein klagen auch einfach. Ihre 2009 erschienene Scheibe "Liebe ist für alle da" landete im Giftschrank der Jugendschützer; doch das Verfassungsgericht Köln hob den Index 2011 auf. Es werde nicht genug über Sex und Sado-Maso gesungen, um es als jugendgefährdend einzustufen, urteilten die Richter.
Rita W. hat sich mittlerweile kundig gemacht, wo sie die Liste der indizierten Songs einsehen kann, die ihr Sohn Philipp nicht hören soll: beim Jugendamt, in Ordnungsämtern, Polizeidienststellen oder in Bibliotheken zum Beispiel. Die BPjM hat die Liste bewusst nicht im Internet veröffentlicht, um in einschlägigen Kreisen nicht für ungewollte Werbung zu sorgen.