Musik in Zeiten von Big Data
5. September 2014
"Give Life back to Music" - gib' der Musik ihr Leben zurück, heißt ein Song des französischen Elektro-Duos Daft Punk, veröffentlicht im Januar 2014. Noch nie war Musik so präsent, verfügbar und allzeit abrufbar wie im digitalen Zeitalter. Noch nie konnten Menschen quasi alle jemals produzierte Musik so einfach an nahezu jedem Ort der Welt hören. Aber noch nie war sie so seelenlose Massenware wie heute, sagen Kritiker. Für viele Ohren klingt der digitale Sound dünner, blecherner als auf CD oder Vinyl.
"Wir erleben zwei Trends, eine totale Polarisierung der Branche", sagt Dieter Meier, Schweizer Musiker, bekannt als Frontmann des Elektropop-Duos Yello. "Eine digitale Musikflut für die Massen, die Musik über Streams hören, da ist viel schlechte Qualität dabei. Und die Musikliebhaber, die High Quality Sound wollen und Alben kaufen."
Die Zukunft wird gestreamt
Die Zukunft gehört den Streaming-Anbietern wie beispielsweise Spotify, Deezer, Google Music oder Beats Music. "Unsere Kunden geben viel mehr Geld für Musik aus, als Leute die Downloads oder CDs kaufen", sagt Michael Krause, Geschäftsführer von Deezer. Beim Streaming können, gegen eine monatliche Gebühr je nach Anbieter, über 40 Millionen Songs abgerufen werden - und jeden Tag werden es mehr.
Da kann einem schwindelig werden. Streaming überholt MP3 Plattformen wie iTunes und Amazon, kostenpflichtiges Downloaden ist out. Überholt wird der "alte" Musikmarkt sowieso. Zum ersten Mal in der Geschichte der Musikindustrie sind in den USA weniger als vier Millionen Alben pro Woche verkauft worden. Der Einbruch 2014: jede Woche eine halbe Million weniger verkaufte Scheiben als im Vorjahr. Ein Trend, der auch Europa erreicht. In Deutschland nutzen bereits 18 Millionen Menschen Streaming; im Vorjahr waren es gerade mal sechs Millionen.
Musiker schauen in die Röhre
Keine Albumverkäufe, kein Geld für die Künstler. Die Einnahmen für gestreamte Songs landen bei den Anbietern, nicht bei den Musikern. "Mit fünf Millionen Streams kannst du kaum deine Wasserrechnung bezahlen", beklagt Dieter Meier. Bei 0,0001 Cent pro Stream bekommt der Künstler dann nur 500 Euro. "Das ist eine Verrücktheit." Aber das gigantische Angebot im Netz hat auch Vorteile für Musiker und Konsumenten: Weil Nutzer von Streaming-Diensten viel mehr Musik und viel mehr verschiedene Künstler hören, steige die Zahl der Konzerte und Konzertbesucher, prognostiziert Sveinung Rindal, Global Editorial Manager bei WiMP Music. "Nicht nur für die Top Acts. Das bringt Einnahmequellen für Musiker und neue Entdeckungen für alle, die Musik lieben."
Big Brother Is Watching You
Live Konzerte, das ist für Romantiker die seelenvolle Seite der Musik, die andere ist Big Data Mining: Riesige Datenmengen und technische Möglichkeiten, Konsumentenverhalten und Musik werden bis ins kleinste Detail vermessen. Mit jedem Song, den ein Kunde abruft, mit jedem "like" auf Facebook, liefert er eine neue Information über seinen Geschmack, der als Algorithmus erfasst wird.
So erhält der Kunde von den Anbietern prompt passgenaue Vorschläge, was ihm noch gefallen könnte. "Zehn Millionen Hörer verschaffen uns eine Billion Datenpunkte in der Woche", sagt Paul Lamere, Direktor von The Echo Nest. "Wir identifizieren die Künstler mit den leidenschaftlichsten Fans, wissen, wer was wann hört, und an welcher Stelle ein Hörer einen Song abbricht." Für Nutzer mit einer geringen Aufmerksamkeitsspanne hat The Echo Nest das "Attention Deficit Radio" entwickelt. Eine Anwendung, die, für jeden Nutzer individuell berechnet, bei nachlassender Aufmerksamkeit automatisch den nächsten Song abspielt.
Computer statt Musiker?
Firmen wie Echo Nest Lab messen im Auftrag von Anbietern aber nicht nur das Konsumverhalten. Auch Songs selbst werden vermessen: Welcher Beat verkauft sich am besten? Nach diesem Prinzip könnten bald Chartshits vom Computer gemacht werden. Auch wenn Paul Lamere einwendet: "Naja, es wäre schade, wenn Bands wie Led Zeppelin ihre psychedelischen Riffs einfach löschen, weil sie bei der Zielgruppe nicht so gut ankommen."
Sehnsucht nach dem alten Klang
Die meisten der diskutierten Trends sind nicht neu. Es scheint, die Branche ist nach Jahren der Krise weiter auf der Suche nach dem Weg in die Zukunft. Neben - oder vielleicht gerade wegen - allen digitalen Stürmen gibt es aber eine Sehnsucht nach Qualität und Echtheit. Und immer mehr Menschen, die bereit sind, dafür zu zahlen. Beim norwegischen Streaming-Anbieter WiMP wird genau darauf gesetzt: auf das heimelige Gefühl eines Plattenladens mit großen, gut gemachten Alben wie in den 1960er Jahren.
"Bedeutet dir Musik noch etwas, oder lädst du sie einfach nur runter?", bringt es Sveinung Rindal von WiMP auf den Punkt. Sogar das gute alte Vinyl ist quicklebendig. "Die Älteren kaufen es, weil sie ihre Jugend aufleben lassen wollen, die Jungen, weil es wärmer, authentischer klingt", erzählt Bernd Paulat vom Vintage Label Sireena Records. Am Ende steckt vielleicht doch noch Seele und Leben in der Musik.
Die Berlin Musik Week findet vom 3. bis 7. September statt. DW ist Medienpartner.